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Die Wunderreise

 


 

Manchmal gibt es Dinge, bei denen reicht es nicht aus, dass man sich wundert und dementsprechend staunt. Ganz und gar nicht! Vorbereitet war ich auf vieles, als ich den heutigen Brief vom hiesigen Standesamt in der Hand hielt. Vom Oberlandesgericht hatten wir schließlich letzte Woche gehört, dass es sechs Wochen dauern würde, bis die Anerkennung meiner holländischen Scheidung überhaupt in Angriff genommen würde. Fünf Tage später arrivierte also dieser Brief vom Standesamt. Ich wog ihn in der Hand, ich wollte am Gewicht schon einmal feststellen, wie schwerwiegend das folgende Problem sein würde. Der Brief war leicht, eine Seite, schätzte ich. Das konnte alles bedeuten. Einigermaßen schweren Herzens öffnete ich den Brief. Was würde uns jetzt erwarten? So, wie die ganze Geschichte bis jetzt gelaufen war, war ich auf alles gefasst, nur auf eines nicht:

Sehr geehrter Herr Rövenstrunck,

das Oberlandesgericht Karlsruhe hat mit Bescheid vom 23.06.2009 das Scheidungsurteil des Bezirksgerichtes Utrecht vom 13.01.1993 anerkannt.....

Ganz sprachlos war ich, regelrecht erschlagen von dem plötzlichen Tempo der Abwicklung, aber auch ganz gerührt, und mein erster Gedanke war: Ich muss beim Oberlandesgericht mindestens einen Leser haben! Anders konnte ich mir diesen plötzlichen Tempowechsel gar nicht erklären. Ganz spontan und sehr inspiriert brachte ich in meiner neuesten Komposition auch einen plötzlichen Tempowechsel an, einen kurzen, durchaus fröhlichen Juchzer, den ich aber nach reiflicher Überlegung wieder gestrichen habe. Denn eine Komposition sollte nicht allzu sehr von einem äußeren Ereignis bestimmt werden, das geht erfahrungsgemäß immer schief. Also beschränkten wir uns auf einen gegenseitigen Juchzer, der aber schnell der Erkenntnis Platz machte, dass für dergleichen Dinge gar keine Zeit und kein Platz war. Die verschobene Feier musste neu organisiert werden, wir mussten morgen früh zum Standesamt und das Aufgebot bestellen, mit einem Wort: Jetzt wurde es ernst!

 

Strauß

 


 

Einen Tag später (Dienstag, 30. Juni 2009):

Ganz früh machten wir uns auf den Weg zum Standesamt, um der Hitze vor zu sein. Typischerweise hatten wir uns für unsere Heirat die erste Hitzewelle des Jahres ausgesucht, mich wundert es nicht, denn in Bezug auf unsere Heirat wundert mich sowieso nichts mehr. Die wichtigste Frage, vom amtswegen, die geklärt werden musste, war selbstverständlich die Frage der Gebühren. Diese beliefen sich insgesamt auf weit über hundert Euro, was sich, gesehen die Klippen, die zu umschiffen waren, noch in Grenzen hielt. Man muss bedenken, dass die Behörden mit uns viel Arbeit hatten, sie mehr mit uns als umgekehrt und alle meine Bemühungen, die Arbeit der Behörden zu erleichtern, haben bis jetzt leider nichts gefruchtet. Das liegt vermutlich daran, dass auch die Behörden ihren Stolz haben und ihre Arbeit lieber eigenständig erledigen. Bürgerhilfe wird nicht sehr geschätzt und so bleibt dem Bürger nur die Selbsthilfe übrig. Das ist jedoch nicht weiter schlimm, geht es doch darum, das erhabene Gefühl zu erleben, seine Bürgerpflicht erfüllt zu haben.

Unser Rathaus

Unser Rathaus inklusive Standesamt (eigenes Foto)

 

Nachdem also diese Formalitäten geklärt waren, bekam ich alle Papiere ausgehändigt, die in Verbindung mit der Eheschließung standen. Jetzt war noch die Namensfrage zu klären und, was das Wichtigste war, der Heiratstermin. Rein theoretisch hätten wir noch heute heiraten können, aber wir beschlossen, uns noch eine Schonfrist zu gönnen. Als Termin ließen wir Freitag, den 3. Juli, vormerken. Und zwar morgens um acht Uhr, weil dieser Freitag der heisseste Tag der Woche werden sollte, wenn man dem Wetterbericht glauben darf. Unsere Hochzeitskleidung war nun einmal nicht die luftigste (und schon gar nicht die lustigste), wie man auf den Fotos vom Verlobungsfest im 41. Heft sehen kann. Sozusagen als Generalprobe hatten wir die Hochzeitskleidung bei der Verlobung schon getragen. Dabei muss ich anmerken, dass ich, der seit über vierzig Jahren keinen Anzug mehr getragen hatte, mich darin eigenartigerweise sehr wohl fühlte. Ich konnte die Richtigkeit des Sprichwortes 'Kleider machen Leute' überprüfen und kam zu der Schlußfolgerung, dass dieses Sprichwort an Wahrheitsgehalt nicht entbehrt, vorausgesetzt, irgendwelche Leute machen zuerst die Kleider!

 

Strauß

 


 

Die Tage bis zum Hochzeitstag:

Die paar Tage bis zur Hochzeit vergingen wie im Fluge und gestalteten sich eigentlich wie ganz gewöhnliche Tage. Der neue Termin für die Feier war schnell organisiert, ansonsten gab es kaum etwas vorzubereiten. Denn vorbereitet waren wir schon längst, und das nicht nur psychologisch. Bei uns ist zwar die Psychologik das logischste Element von allen, aber auch die praktischen Vorbereitungen waren längst abgeschlossen. Und so vergingen diese Tage wie im Fluge, wie eigentlich alle anderen auch, gefüllt mit Arbeit am Computer (meinerseits) oder mit Zeitvertreib am Computer (ihrerseits). Denn leider leidet meine Mausi seit ihrer Lungenentzündung im März immer noch an einem Energiemangel, der ziemlich einschneidend für sie ist, weil sie dadurch wenig bis nichts tun kann. Zum Heiraten reicht es aber noch so grade! Und das ist erst einmal die Hauptsache.

Auch uns stellt sich natürlich die Frage: Warum heiraten wir eigentlich? Sicher nicht deshalb, um unser Verhältnis zu sanktionieren, weder in den eigenen Augen noch in den Augen der Welt. Denn diese hat in unserem privaten Bereich rein gar nichts zu suchen. Auch nicht deshalb, weil sich das so gehört, denn das ist ja schon lange nicht mehr so und, ganz abgesehen davon, was sich gehört, bestimmen wir doch lieber selbst. Wir heiraten deshalb, weil es rein gefühlsmäßig der einzig logische Schritt ist, einer großen Liebe Form zu geben, die uns in höherem Alter ereilt hat, hier greift also die schon erwähnte Psychologik voll und ganz, auch wenn das ein neuer Begriff sein sollte. Allerdings ein passender Begriff, wie er passender gar nicht sein könnte. Unsere Psyche funktioniert nach logischen Grundsätzen, vielleicht deshalb, weil wir beide, jeder auf seine Art, äußerst kreativ sind. Dadurch hat das Gefühl einen vorrangigen Platz, während die rationalen Dinge wie etwa das technische Können nur Grundvoraussetzung sind, also eine dazugehörige Selbstverständlichkeit. Vielleicht ist deshalb unsere Liebe so tief und unvoreingenommen, sie fußt auf gegenseitigem Respekt und der bedingungslosen Akzeptanz des anderen. Was auch immer passiert, wir sind füreinander da. Das erweist sich schon daran, dass wir in einer viel zu kleinen Wohnung irritationslos zusammen leben, meiner Erfahrung nach ein Unikum. Auf den Geist gehen wir uns nur insofern, als wir auf den Geist des anderen eingehen. Zur Auflockerung gehen wir gelegentlich aus. Wir sind Tag und Nacht zusammen und dennoch hat jeder seinen Freiraum. Das klingt nicht nur nach der idealen Liebe, das ist es auch. Nach unseren Maßstäben waren die Tage bis zur Hochzeit also ganz gewöhnliche Tage. Es ist schon ein eigenartiges Gefühl, wenn das Ungewöhnliche sich ins Gewöhnliche transformiert. Aber lieber so als umgekehrt, viel lieber so als umgekehrt. Es ist eins der schönsten Geschenke, die das Leben bereit hält, wenn das Ungewöhnliche sich zum Standard erhebt. Davon profitiert alles: Das Grundgefühl, die Arbeit, zuviel, um aufzuzählen. Plötzlich verstehe ich das geflügelte Wort: 'Es lebe die Liebe!' und lauthals stimmen wir in diesen Schlachtruf ein!

Die letzte Hürde tat sich am Tag vor der Hochzeit auf. Bei der Generalprobe, unserer Verlobung, stellte sich heraus, dass die Bluse des extra angefertigten Dirndls einen Materialfehler aufwies. Wir schickten diese Bluse vor Wochen schon zum Umtausch zurück. Mehrmalige Telefonate sollten sicherstellen, dass die neue Bluse rechtzeitig ankommen würde. Das letzte Telefonat vor ein paar Tagen hatte zum Ergebnis, dass dafür Sorge getragen würde, dass die Bluse rechtzeitig versendet werden würde. Nachfrage am Donnerstag lehrte jedoch, dass die Bluse noch gar nicht abgeschickt worden war. Uns blieb wirklich nichts erspart! Sollten wir deshalb die Hochzeit verschieben müssen? Jetzt mussten wir uns echt etwas überlegen. Recherche im Internet ergab, dass es in Pforzheim, das ist 30 km von hier, einen großen Laden gab, der ganz billig Dirndls verkaufte. Also nichts wie hin! Das einzige Dirndl, das in Frage kam, hatte einen Vor- und einen Nachteil. Der Vorteil war der Preis, 35 Euro, und der Nachteil die Tatsache, dass das Dirndl zu groß war. Wir kauften es trotzdem. Auf dem Rückweg machten wir Halt bei einer Schneiderin im Nachbardorf und bekamen für abends einen Termin zur Änderung. Puh - geschafft. Wir mussten noch zum Standesamt, um die fälligen Gebühren zu zahlen, danach setzte Mausi mich zuhause ab und fuhr zur Schneiderin. Das alles in der Gluthitze dieses Tages. Abends mussten wir noch die Wohnung fertigmachen und am nächsten Morgen um sechs Uhr raus. Das ist die Geschichte dieser Heirat, alles führt ohne unsere Schuld in den Stress und passiert auf den letzten Drücker. Das kann mich jedoch nicht hindern, die ganze Angelegenheit weiterhin als Wunderreise zu betrachten, obwohl dieser Problemaspekt mich eher verwundert als dass er zum Wunder gehört.

 

Strauß

 


 

Der Hochzeitstag (Freitag, 3. Juli 2009):

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