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Die Wunderreise - Der Hochzeitstag

 


 

Freitag, 3. Juli 2009

Die Zeremonie im Standesamt morgens um acht war kurz, deutlich und, ob mans glaubt oder nicht, schmerzlos. Nach einer kurzen Belehrung über den Sinn der Ehe, eine solche über deren Zweck haben wir vermisst, aber diese wäre sowieso nichts Neues gewesen, da hier der Zweck den Sinn ad absurdum führt, kam der entscheidende Moment: Das Ja-Wort. Auf die diesbezügliche Frage des Standesbeamten antwortete ich in feinstem Hochdeutsch: "Ja, ich will." Meine Mausi war etwas nervös und antwortete auf die diesbezügliche Frage des Standesbeamten in breitestem Schwäbisch: "Ja, i will au". Ich musste mich wirklich zusammennehmen, um nicht laut loszuprusten!

Von der Stadt erhielten wir sogar ein Geschenk, und zwar eines, das eine Ehe auf eine solide Grundlage stellt, das in einer funktionierenden Ehe unmissbar ist, um die Ehe zu einem ungeteilten Erfolg zu machen, ein umfangreiches Kochbuch nämlich, in dem bei jedem Rezept auch die Anzahl Kalorien peinlichst genau vermeldet ist. Ganz nach dem Motto: Liebe geht durch den Magen, obwohl es meiner Erfahrung nach eher so ist, dass Liebe auf den Magen schlägt. Das äussert sich entweder in Heisshunger oder in völliger Appetitlosigkeit. Weiterhin erhielten wir noch einen, selbstverständlich samt Unterschrift vorgedruckten Glückwunsch des Oberbürgermeisters von Karlsruhe. Jetzt sind wir also auch im Bund der Ehe verbunden, nicht, dass das etwas ändert an dem wunderbaren Status Quo, den wir eh schon erreicht haben. Es sei denn, meine Mausi führt neue Sitten und ein neues Regime ein, jetzt, wo wir verheiratet sind. Ihr zustimmendes Nicken, begleitet von einem vollmundigen 'Ja' deute ich jedoch rein satirisch, weil es von diesem gewissen Grinsen begleitet war, das ich so gut kenne und so sehr liebe. Das wird der Brunnen von viel Spaß werden, diese virtuelle Welt des "neuen Regimes".

Eheurkunde

 

Strauß

 


 

Was hat sich also durch unsere Heirat wirklich geändert? Für die Beziehung zwischen uns beiden hat sich nichts geändert, wir haben jedoch eine extra Dimension zum Flachsen dazu bekommen. Was aber jeder einzelne von uns gratis dazubekommen hat, ist die Familie des anderen. Ich habe plötzlich drei Kinder, auch wenn es nur Stiefkinder sind. Das hätte ich vor der Heirat bedenken sollen, jetzt stehe ich vor vollendeten Tatsachen. Da ich alle drei aber sehr gerne mag, ist es eher eine Formalität, das Stiefvaterdasein, meine ich. Denn wenn mir eines fremd ist, dann sind das väterliche Gefühle. Da ich solche nicht kenne, weiß ich, dass sie mir fremd sind, weil ich weiß, dass solche bestehen. Das klingt kompliziert, ist aber, wenn es sein muss, bei einigem Nachdenken, sehr einfach. Hier trügt der Schein. Wir beide sind recht einfach gestrickt, das stimmt wirklich, obwohl niemand das glauben mag. Einfach ist aber nicht gleich simpel. Wenn wir simple Seelen wären, könnten wir nie zu den Tiefen vordringen, zu denen wir vordringen. Die Vielfalt, die sich auch in unserer Arbeit ausdrückt, wird eben durch dieses Vordringen in große Tiefen ermöglicht. Nicht gehindert werden wir dabei durch irgendwelche Zweifel, denn etwas ist für uns entweder gut oder nicht gut. So entsteht eine große Vielfalt in zwei Welten, einer guten und einer nicht guten Welt. Grauzonen gibt es in unserer Welt also nicht, da diese uns nur hindern und bremsen würden. Einfacher geht es kaum. Schwieriger schon, aber das wäre ein Leichtes, zu einfach also, deshalb lassen wir uns das gerne entgehen. Das Einfachste ist zugleich das Schwierigste und genau das reizt und motiviert uns.

 

Strauß

 


 

In gewisser Hinsicht war heute auch ein Vermieterinnentag. Besuch hatten wir nur wenig, das wollten wir auch so. Morgens kam eine ehemalige Vermieterin von Mausi vorbei und nachmittags unsere jetzige Vermieterin. Wohlerzogen, wie ich nun einmal bin, liess ich die Frauen reden und machte gute Miene zum gar nicht mal so bösen Spiel. Dennoch war es richtig nett, einmal ganz in die "Normalität" abzutauchen. Das für mich völlig Ungewohnte dieser Situationen war reizvoll, denn ich habe im täglichen Leben mit dieser Art Normalität wenig zu tun, die Art der Normalität, die meinen Weg im Allgemeinen kreuzt, ist die des alltäglichen Wahnsinns. Normalität bedient sich nun einmal der verschiedensten Verkleidungen. Unsere heutige Vermieterin brachte einen wunderschönen Blumenstrauß mit und eine handgeschriebene Karte, die ein Gedicht von Novalis enthielt, das ich hier nicht vorenthalten will:

Was paßt, das muß sich ründen,
Was sich versteht, sich finden,
Was gut ist, sich verbinden,
Was liebt, zusammensein.
Was hindert, muß entweichen,
Was krumm ist, muß sich gleichen,
Was fern ist, sich erreichen,
Was keimt, das muß gedeihn.


Auf dieser Karte stand jedoch nur die Hälfte des Gedichtes, wohl aus Platzgründen, die zweite Hälfte füge ich der Vollständigkeit halber hinzu, denn die hat es in sich:

Gib traulich mir die Hände,
Sei Bruder mir und wende
Den Blick vor Deinem Ende
Nicht wieder weg von mir.
Ein Tempel -- wo wir knieen --
Ein Ort -- wohin wir ziehen
Ein Glück -- für das wir glühen
Ein Himmel -- mir und dir.


Die Schönheit dieses Gedichtes aus der frühromantischen Zeit stand in völligem Einklang mit dem heutigen Tag. Vor allem die letzten beiden Zeilen haben es uns angetan, aber dennoch, das ganze Gedicht trifft unsere psychlogische Situation derart, als wäre es speziell für uns geschrieben worden. Dass der Name Novalis ein Pseudonym, ein Künstlername ist, sehen wir dabei keineswegs als schlechtes Omen. Denn Novalis bedeutet Brachland, das ist also Land, das es zu bestellen gilt. Allzu viel Zeit haben wir nicht mehr, das heisst aber nur, dass wir jeden Moment intensiv leben werden. Dadurch läuft nicht uns die Zeit davon, sondern wir laufen der Zeit davon - ins Zeitlose.

 

Strauß

 


 

(Ursprünglich war noch eine Fotoseite rund um die Hochzeit für dieses Heft geplant, diese kam jedoch aus Zeitgründen nicht rechtzeitig zustande und wird, falls alles klappt, im nächsten Heft nachgeholt.)

 

Strauß

 


 

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