Startseite
Zum Index (noch) erlaubter Schriften
Zum Archiv
DER ROTE PUNKT
Gästebuch
Zum Register
Impressum

 


Szene eines Dramas

 


 

Herr Eins und Herr Zwei treffen sich zufällig auf der Straße

 

Herr Eins:
So trifft man sich wieder. Geht es Ihnen gut? Sie sehen so blass aus.

Herr Zwei:
Es geht gut, danke. Ich habe das Verfassungsgerichtsurteil mit Spannung verfolgt, daher bin ich etwas blass, denke ich mal.

Herr Eins:
Hat das Urteil Sie so mitgenommen?

Herr Zwei:
Man erlebt nicht jeden Tag, dass die Politik so eine schallende Ohrfeige bekommt wie in diesem Fall. Das war richtig spannend, das zu verfolgen.

Herr Eins:
Was hat sich denn Ihrer Meinung nach durch das Urteil geändert? Oder erfreuen Sie sich daran, dass Politiker des verfassungswidrigen Handelns überführt sind?

Herr Zwei:
Tja, eine gewisse Schadenfreude spielt natürlich eine Rolle. Andererseits ist es beängstigend, wie zum wiederholten Male Politiker auf die Verfassung aufmerksam gemacht werden müssen. Bestenfalls kann man ihnen schlampige Arbeit vorwerfen.

Herr Eins:
Und schlimmstenfalls?

Herr Zwei:
Schlimmstenfalls, dass sie es mit der Verfassung willentlich nicht so genau nehmen, mit der Verfassung, auf die sie eingeschworen sind.

Herr Eins:
Übertreiben Sie da nicht ein wenig? Das Bundesverfassungsgericht hat doch die Vorratsdatenspeicherung nicht grundsätzlich verboten, sondern nur die jetzige Form für verfassungswidrig befunden. Mehr noch, das Urteil beinhaltet auch eine detaillierte Gebrauchsanweisung, wie die Vorratsdatenspeicherung verfassungskonform auszusehen hätte. Jetzt stellt sich die Frage, wann und inwieweit unsere Justizministerin das Spielchen mitspielt.

Herr Zwei:
Ja, die Justizministerin, die auch zu den Klägern gehört hat, eigentlich witzig, aber die Liberalen sind ja dafür bekannt, dass sie bei jeder Gelegenheit umfallen. Erst wird das Urteil als Sieg der Liberalen ausgelegt und dann fallen sie um, das sage ich Ihnen. Spannend ist das nicht wirklich, sondern nur eine Frage der Zeit.

Herr Eins:
Sie sehen zu schwarz, fürchte ich. Immerhin hat die EU das Urteil kommen sehen und im Vorfeld eine generelle Prüfung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung angekündigt. Das ist eher interessant als das Umfallen des Stehaufmännchens Westerwelle, der eh nur aufstehen kann, wenn er vorher umgefallen ist. Sonst würde die jetzige Koalition an dem Zwist über dieses Urteil zerbrechen. Meinen Sie wirklich, dass es soweit kommt?

Herr Zwei:
Ich bin mir nicht sicher. Aber die Strategie Deutschlands ist nicht aufgegangen, soviel ist klar.

Herr Eins:
Welche Strategie meinen Sie denn? Die Strategie, um in der EU die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung voranzutreiben, damit man sich zuhause dahinter verstecken kann? Und dass man die Richtlinie unnötigerweise noch an Restriktivität überbieten wollte?

Herr Zwei:
Jetzt übertreiben Sie aber! Sie glauben doch nicht ernsthaft an ein solches Komplott? Naja, zutrauen würde ich Ihnen das schon, Sie wittern doch eh überall eine Verschwörung.

Herr Eins:
Das hat nichts mit Verschwörung zu tun. Ich zitiere Ihnen mal den Vorsitzenden des Bundesverfassungsgerichtes:
"Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass das Verbot einer Totalüberwachung zur Identität der Verfassung Deutschlands gehört und auch von der europäischen Gesetzgebung nicht im Grundsatz negiert werden darf. Das ist eine Entscheidung, die weit über den konkreten Fall hinausreicht."
Was sagen Sie denn dazu? Sie glauben doch nicht im Ernst, dass unsere Verfassungsrichter naive Phantasten sind, oder?

Herr Zwei:
Was ich dazu meine? Ich meine, dass der Verfassung ein zu hoher Wert beigemessen wird. Die Zeiten haben sich grundlegend geändert und neue Gegebenheiten erfordern auch eine neue Strategie mit neuen Mitteln. Dabei ist noch zu bemerken, dass der Datenschutz bei jedem Einzelnen anfängt. Obwohl ich nichts zu verbergen habe, gebe ich im Internet keine Daten über mich preis. So bin ich weitestgehend vor Datenklau und dessen Folgen geschützt.

Herr Eins:
Sie verwenden ja Windows, wie siehst es denn bei Microsoft mit Ihrem Datenschutz aus? Stark verschlüsselt telefoniert Ihr Betriebssystem nach Hause, nach Redmond. Ist Ihnen das egal, dass keiner genau weiss, was da übermittelt wird?

Herr Zwei:
Sie sehen wirklich zu schwarz. Ein bisschen Vertrauen sollte man schon haben, finde ich. Microsoft schützt doch nur seine Systeme, finden Sie das nicht legitim?

Herr Eins:
Das ist eine Frage der Definition. Microsoft ist in einer Hinsicht unschlagbar: Sie erheben Patente auf die Innovationen anderer und haben sich damit weltweit eine quasi Monopolstellung aufgebaut. Diese Monopolstellung betrifft aber nur noch den Desktopbereich, in allen anderen Bereichen - Server, Mobilfunk, Kassensysteme in Supermärkten etc. - hat Linux die Nase vorn.

Herr Zwei:
Ja, ich weiss, das sind Ihre Argumente, wie gehabt. Ich habe mir jetzt Windows 7 gekauft und was soll ich Ihnen sagen? Ich bin begeistert. Daneben sieht Ihr hochgelobtes Linux ganz schön alt aus, glauben Sie mir! Und was die Nach Hause-Telefonierwei angeht, sollen sie doch! Sie beschützen damit nur ihr Produkt.

Herr Eins:
Und Sie haben hoffentlich Ihr System adäquat beschützt. Ich verstehe wirklich nicht, warum Sie das neue Windows gekauft haben. Sie verwenden den Firefox, ein Mailprogramm und eine Officesuite, hin und wieder ein Bildprogramm. Das alles ist in Ubuntu enthalten oder kann ganz einfach nachinstalliert werden und zwar aus sicheren Quellen. Unter Windows müssen Sie all diese Programme im Internet suchen und ohne Verifizierung der Quelle installieren. Aber jeder so, wie er will. Ich werde Sie nicht überreden, wenn die Probleme kommen und die kommen so sicher wie das Amen in der Kirche, dann helfe ich Ihnen sogar, wenn Sie nett darum fragen.

Herr Zwei:
Das ist echt nett von Ihnen, ich werde darauf zurückkommen, falls das nötig ist. Aber lassen Sie uns zum Thema zurückkommen. Sie meinen also, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes kein Sieg für die Gegner der VDS ist?

Herr Eins:
Sie haben es erfasst. Es handelt sich hier um eine Verschnaufpause, bis das neue Gesetz gemacht und durchgewunken ist. Die VDS ist grundsätzlich zulässig, das steht im Urteil drin. Nur eben nicht in Form einer Totalüberwachung, wie das ja bis zum Urteil praktiziert wurde. Die VDS wird kommen, auch wenn es bis zur nächsten Regierung dauern kann. Und ich sage Ihnen noch etwas: Auch ich habe nichts zu verbergen. Das heisst aber nicht, dass ich meinen Hosenstall freiwillig aufsperre und staatlichen Stellen einen Einblick in mein persönliches, intimes Leben gewähre, so wie Sie das machen.

Herr Zwei:
Sie sind ein notorischer Nörgler, das sage ich Ihnen. Ihnen kann man es nie recht machen. Sie sollten einmal verinnerlichen, dass das Leben aus Kompromissen besteht.

Herr Eins:
Wenn das stimmt, kann man es niemandem recht machen. Das ist doch nun wirklich kein erstrebenswerter Zustand. Ausserdem gibr es sicher Dinge, wo man es mir recht machen kann, beispielsweise, wenn Sie mich auf ein Glas Bier einladen, hihi.

Herr Zwei:
Wenn ich Sie nicht kennen würde, würde ich glatt annehmen, dass Sie zu scherzen belieben. Da ich Sie aber kenne: Gehen Sie mit auf ein Glas Bier?

Herr Eins:
Das war der erste vernünftige Satz, den ich heute höre. Gehen wir und stoßen wir auf das Wohl von Herrn Schäuble an. Auch als Finanzminister hat er mit Daten zu tun, wenn auch mit Daten, die Diebesgut sind. Das ist aber solange egal, wie der Staat den Reibach macht. Das Wortspiel haben Sie erkannt? Dass es egal ist, ob es legal ist?

Herr Zwei:
Jetzt belieben Sie tatsächlich zu scherzen. Gehen wir!

(Beide ab).

 


 

 

Zum Sonderheft "Drei Künstler/innen":

 

 

Zurück zur Seite Inhalt:

 

 

 

IP

Use OpenDNS