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Eine Klatsche

 


 

Noch gibt es in Deutschland die Demokratie, auch wenn es wieder einmal des ultimativen Weges bedurfte, um sie durchzusetzen, des Weges zum Bundesverfassungsgericht. Die Repräsentanten eines Staates, der sich einerseits für den Datenschutz stark macht, aber gleichzeitig sich als die schlimmste Datenkrake von allen manifestiert, haben aus Karlsruhe eine schallende Ohrfeige erhalten und nicht nur sie, auch die EU mit ihrer Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, die auch von den Repräsentanten unseres Staates mitinitiiert wurde, ist davon nicht ausgenommen. Es ist auch eine schallende Ohrfeige für alle diejenigen, die sich hinter Argumenten wie: "Ich habe nichts zu verbergen" verschanzt haben und der Aushebelung der Grundrechte, die geplant war, auf diese Weise Vorschub geleistet haben. Es scheint, als hätte die Vizepräsidentin der EU, Frau Reding, das Unheil kommen sehen und freiwillig im Vorfeld dieses Urteils die Zulässigkeit dieser EU-Richtlinie in Frage gestellt, indem sie eine grundsätzliche Überprüfung der Richtlinie in Aussicht gestellt hat. Die Lächerlichkeit der Kapriole, die der Staat hier geschlagen hat, indem er einerseits die EU-Richtlinie mitinitiiert und mitbeschlossen hat, um sich dann daheim hinter dieser Richtlinie zu verstecken und über diese noch weit hinaus zu gehen, wird jedoch in die Geschichte nicht als einzigartiger Schritt, sondern als eine logische Stufe auf dem Wege zur Aushebelung der Demokratie eingehen.

Die Massenklage und das Engagement vieler, unter anderem meines, hat also Wirkung gezeigt. Die Schlacht ist gestritten und gewonnen, jedenfalls auf den ersten Blick.

Das Urteil geht allerdings so manchem nicht weit genug, denn die Vorratsdatenspeicherung wurde nicht grundsätzlich für verfassungswidrig erklärt, jedoch an allerstrengste Auflagen gebunden. Den Begehrlichkeiten der Musik- und Filmindustrie, die die Vorratsdatenspeicherung zum Aufspüren von Raubkopierern verwenden wollten, ist ebenso eine Absage erteilt worden wie dem fragwürdigen Grundsatz, dass der Staat seine Bürger nur effektiv schützen könne, indem er sie unter Generalverdacht stellt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Politik dazu angehalten, sich gefälligst an der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland zu orientieren. Darin besteht die schallende Ohrfeige. Das Gespenst des Überwachungsstaates, das schon sehr konkrete Formen angenommen hat, ist somit erst einmal vom Tisch. Denn die Provider sind dazu angehalten, die bis jetzt gespeicherten Daten umgehend zu löschen. Die Politik ist dazu angehalten, ein neues Gesetz zu machen, dass an strenge Auflagen in punkto Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit gebunden ist. Damit wird ausgesagt, dass die Politik wieder einmal verfassungswidrig gehandelt hat und dieses Handeln gesetzlich festschreiben wollte. Noch im Vorfeld des Urteiles hat sich Herr Wofgang Bosbach für die Erhaltung dieses verfassungswidrigen Gesetzes stark gemacht, jetzt herrscht betretenes Schweigen und ich bin schon gespannt darauf, wie dieser GAU des Ansehens in eine positive Tat umgebogen werden wird. Denn keiner dieser Politiker wird jemnals zugeben, verfassungswidrig gehandelt zu haben und das Urteil lediglich als ein lästiges Korrektiv verkaufen, als einen Sieg der Demokratie, an dem man ja schließlich einen Hauptanteil habe, indem man dieses Grundsatzurteil provoziert habe.

Das Aufatmen ist erst einmal groß, Orwellsche Zustände, wie sie bereits geherrscht haben, sind vom Tisch. Die Tragweite dieses Urteiles wird duch folgende Meldungen sehr deutlich:

Karlsruhe (dpa) - In Deutschland dürfen vorerst keine Telefon- und Internetdaten mehr ohne konkreten Verdacht massenhaft gespeichert werden. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe kippte am Dienstag die Vorratsdatenspeicherung.

Das Gesetz ist in der derzeitigen Fassung nach Überzeugung der Verfassungsrichter nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, weil es gegen das Telekommunikationsgeheimnis verstößt. Bei der Speicherung handelt es sich «um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt», sagte der scheidende Gerichtspräsident Hans- Jürgen Papier. Anhand der Daten seien «tiefe Einblicke in das soziale Umfeld» möglich. Die anlasslose Speicherung der Daten sei geeignet, ein «diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetsein» hervorzurufen.

Heise Online ist nicht weniger deutlich:

Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorschriften der Paragraphen 113 a und b TKG sowie 100 g Abs. 1 Satz 1 StPO im Hinblick auf die Erfassung von Verkehrsdaten insgesamt für nichtig erklärt. Das Gericht präzisiert dies in einer Pressemitteilung noch: "Demzufolge können die Vorschriften auch nicht in eingeschränktem Umfang übergangsweise weiter angewendet werden, sondern verbleibt es bei der gesetzlichen Regelfolge der Nichtigerklärung." Für die Speicherung der Vorratsdaten fehlt damit eine gesetzliche Grundlage, die Speicherung ist also einzustellen, die erhobenen Daten unverzüglich zu löschen.

Deutlicher konnte die Klatsche nicht ausfallen. (Das "diffus bedrohliche Gefühl des Beobachtetseins" ist gewichen und enthebt mich von der selbstauferlegten Pflicht, prophylaktisch die mir zugewiesenen IP-Adressen zu veröffentlichen.) In den Kreisen, die dieses verfassungswidrige Gesetz zu verantworten haben, herrscht Betretenheit, man ist des verfassungswidrigen Handelns überführt. Anstatt aber die ganze Riege geschlossen zurücktritt, was aus Sicht der Ehrenhaftigkeit der einzig mögliche Schritt wäre, wird jetzt gesucht, wie man aus dem Schlamassel möglichst unbeschadet wieder herauskommt. Herr Westerwelle feriert das Urteil als einen Sieg, aus der Union kommen betretene Töne und die SPD schweigt. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Peter Altmaier, ist "ausdrücklich nicht froh" über das Urteil, was ich mir insofern gut vorstellen kann, weil er als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Innern maßgeblich am Zustandekommen des verfassungswidrigen Gesetzes beteiligt war. Er sollte dem Bundesverfassungsgericht als oberstem Hüter der Demokratie dankbar sein. Zwar bedeutet das Urteil, dass die Beteiligten versagt haben, der Polizei- und Überwachungsstaat lässt sich nicht mit dem Grundgesetz vereinbaren und das hätten alle Beteiligten wissen müssen. Selbst die Gewerkschaft der Polizei spricht von einer "schallenden Ohrfeige für den Gesetzgeber", der schlampig gearbeitet habe. Aber es bietet sich die Chance, sich rein zu waschen, indem ein Gesetz gemacht wird, dass den verfassungsrechtlichen Ansprüchen genügt. Die Wahl ist also, sich sein Versagen einzugestehen und infolgedessen zurückzutreten oder sich zu besinnen und endlich das zu tun, wofür man gewählt wurde: Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland als deren höchstes Gut zu schützen und danach zu handeln.

Sie mögen unbesorgt sein: Ausfertiger verfassungswidriger Gesetze gehen straffrei aus, denn die Verfassungswidrigkeit wird erst im Nachhinein festgestellt!

2. März 2010

 


 

 

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