Der Strom von Leserzuschriften, in denen darüber geklagt wird, dass der "Rote Punkt" nicht lustig genug sei, reißt nicht ab und so bleibt mir nur, zum wiederholten Male das Wesen der Satire zu beleuchten in der Hoffnung, dass wenigstens dieses Mal etwas davon bei den Betreffenden hängenbleibt. Die Art solcher Zuschriften verschafft mir allerdings einen Einblick in die Vielfalt des geistigen Horizontes meiner Leserschaft, der mich manchmal erwägen lässt, das Handtuch einfach in den Ring zu werfen, denn für solche Leute schreibe ich nun wirklich nicht. Allerdings kann ich mir meine Leserschaft nicht aussuchen, der "Rote Punkt" ist öffentlich, mir wäre aber sehr damit gedient, Zuschriften wie die beiden folgenden in Zukunft zu unterlassen und sich vor dem Schreiben auf sein Schamgefühl zu besinnen: ey alta, Lieber Herr Rövenstrunck, Die erste Zuschrift bedarf keines Kommentares, ich bin mir nur nicht sicher, ob ich solche Zuschriften drollig oder nur trollig finden soll. Die zweite Zuschrift verdient es allerdings, stellvertretend für viele andere beantwortet zu werden, damit endlich in die hintersten Ecken deutscher Wohnstuben vordringt, was Satire ist. Oder was Satire nicht ist. Die Beantwortung findet hier statt, auf die Gefahr hin, dass ich wegen Schändung der Privacy belangt werde. Denn ich habe persönliche Mails zitiert, allerdings betrifft deren Inhalt eine öffentliche Publikation und ich habe niemanden bloßgestellt, Namen und Mailaderessen sind getilgt worden. Ich sehe die zitierten Zuschriften als ein Symptom dieser Zeit, als ein Symptom der Geistlosigkeit, die sich sogar hinter sprachlich korrekter Formulierung verbergen kann wie etwa bei der zweiten Zuschrift. Dass der Schreiber sich dumm und dämlich gelacht hat und das sogar öfters, merkt man. (Das musste sein, bei der Vorlage!) Im Übrigen benötige ich keine Hilfe bei der Materialsuche, das Internet ist groß und ich werde fündiger, als mir lieb sein kann. Die Damen und Herren des Magazins 'Titanic' haben es sicher schwer, schon Juvenal wusste, dass es schwer ist, keine Satire zu schreiben. Es ist schwer, dem deutschen Witz Genüge zu tun. Denn das ist das, was solche Magazine versuchen, deren es noch mehrere gibt wie etwa den Eulenspiegel. Friedrich Schiller hat es auf den Punkt gebracht: "In der Satire wird die Wirklichkeit als Mangel dem Ideal als der höchsten Realität gegenüber gestellt." Was Titanic, Eulenspiegel und Konsorten veranstalten, ist genau das Umgekehrte: Die Wirklichkeit als Ideal wird dem Mangel als höchster Realität gegenübergestellt. Witz wird mit Satire verwechselt, ein jeder, der in der Lage ist, das deutsche Gemüt zum Lachen zu bringen, wird als Satiriker verehrt, es ist zum Mäusemelken! Allerdings genügt es vollkommen, aus dem "endgültigen Satiremagazin Titanic" zu zitieren, um deutlich zu machen, was Satire nicht ist: Berufswitz der Woche: Neue Sicherheitslücke im Internet Explorer: Das wird in Deutschland als Satire angesehen, ich fasse es nicht! Ordinäre, humorlose, vor Gezwungenheit nur so strotzende Witzereisserei, eine Verunreinigung des geistigen Bodens, eine Niveaulosigkeit sondergleichen, Lachfutter für den Spießer par excellence, es ist nicht zu überbieten. Vor allem besticht die Gezwungenheit, die solchen Äußerungen innewohnt. Verzweifelt wird bei jedem Wort nach einem verwandten Wort gesucht, dessen Gebrauch dann den Witz herstellen soll. Nichts beleuchtet die Geistlosigkeit besser als eben dieses Vorgehen. Die Geistlosigkeit ist ein Faß ohne Boden, was bedeutet, dass man zwar tief fallen kann, aber nicht tiefer. Der Witz dieser Art kratzt nicht einmal an der Oberfläche, er ist die Oberfläche und zeichnet deshalb durch unübertreffliche Oberflächlichkeit aus. Der Wortwitz aber ist keine handwerkliche Tätigkeit, sondern bedarf eines gewissen geistigen Formates, will er wirken, quod erat demonstrandum. Die Satire ist eine durchaus ernste Angelegenheit, Wortspiele sind nur eines ihrer Werkzeuge. Sie führt den Witz ad absurdum, kennt keine Rücksicht und ist sich selbst genug. Sie bedient sich ihrer Themen, um eine geistige Überzeugung zum Ausdruck zu bringen. Satire reizt nicht unbedingt zum Lachen, sondern durch das Merkmal der Übertreibung zum Nachdenken. Satire ist immer eine Frage des Formates. Deshalb gibt es keine schlechte Satire, sondern nur Satire oder schlechten Witz. All diese Aspekte der Satire vermisse ich bei Titanic, Eulenspiegel und Konsorten völlig, die Aspekte des schlechten Witzes sind allerdings im Überfluß vorhanden. Solche Publikationen müssen ihren Machern doch manchmal schwer im Magen liegen, anders kann ich mir das nicht vorstellen. Das beweist ein Stückchen unfreiwillige Selbsteinsicht, welches manchmal unwiderstehlich seinen Weg in beispielsweise die Titanic findet. In diesem Falle fällt die Titanic das letzte Urteil ohne Milde selbst, mit unerreichter deutscher Wohnstubenlyrik: Man zieht nicht hin. Man wird dorthin gebracht
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