Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn es hierzulande nicht möglich wäre, mit zweierlei Maß zu messen. Da hat ein Systemadministrator sich gedacht, was die Politik darf, das darf ich auch! Weit gefehlt! Wie kann man nur so vermessen sein! Was die Politik darf, unterliegt eigenen Gesetzen, da es nichts gibt, was die Politik nicht darf. Zwar sind auch der Politik offiziell die Hände durch die Gesetzeslage gebunden, jedoch kann sie sich relativ unbeschadet erlauben, die Grenzen dieser Rechtslage auszutesten und dadurch zu verlegen, einem Privatmann ist so etwas aber nie und nimmer erlaubt. Wo kämen wir denn da hin, wenn ein jeder die Vorbildfunktion der Politik wörtlich nehmen würde? Die Legislative und die Exekutive darf doch nicht in Privathände geraten! Das ist und bleibt die angestammte Spielwiese der Politik. Und so kann es passieren, dass an ein und demselben Tag zwei Berichte erscheinen, die unterschiedlicher gar nicht sein können. Der erste Bericht entstammt Heise Online und beleuchtet kurz und knapp, an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig lassend, wo die Grenzen für Privatleute liegen: Die unerlaubte Einsichtnahme in fremde E-Mails durch einen Systemadministrator stellt einen schwerwiegenden Pflichtverstoß dar und rechtfertigt dessen fristlose Kündigung. Dies entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) München mit Urteil vom 8. Juli 2009 (Az. 11 Sa 54/09). Die Richter bestätigten damit die vorinstanzliche Entscheidung des Arbeitsgerichts München. Da hat dieser Systemadmin einfach Pech gehabt, dass die Rechtslage nach 'herrschender Auffassung' so eindeutig ist. Er kann noch froh sein, dass er nicht wegen Betriebsspionage belangt wurde. Aber Deutschland ist ein Land der extremen Kontraste und so erschien am selben Tag in der 'Rheinischen Post Online' folgender Bericht: Geldern (RP) Die Stadtverbandsspitze der Gelderner CDU hat die personalisierte elektronische Post der Fraktionsmitglieder ohne deren Wissen umgeleitet. Ein CDU-Mitglied hat jetzt Strafanzeige gestellt. Das als eine Provinzposse abzutun, wäre zu einfach. Dass hier ein eklatanter Vertrauensbruch vorliegen soll, stimmt insofern nicht, als das Vertrauen zwischen Bürgern und Obrigkeit an Nichtvorhandensein krankt und erst einmal geschaffen werden muss. Ob das Vorgehen der Gelderner Stadtverwaltung zu diesem Zweck allerdings geeignet ist, steht in den Sternen, im Klartext: Ungeeignet, setzen, sechs! Wie ist denn nun die ganze Sache aufgeflogen? Entdeckt hat Holz dies nur durch einen Zufall: Er hatte einem Bürger eine SMS geschrieben, dieser hatte seine Antwort dann nicht ebenfalls per SMS versendet, sondern per E-Mail an die Adresse bernd.holz@cdu-geldern.de. Daraufhin erhielt Holz die Mail von der Fraktionsvorsitzenden und stellvertretenden Stadtverbandschefin Marianne Ingenstau weitergeleitet – mit der Frage, um was es denn bitteschön dabei gehe. Holz ist entsetzt, dass er nicht informiert wurde, dass seine Mails "abgefangen und mitgelesen" werden. Was hat Herr Holz denn bitteschön erwartet? Das die ganzen letzten Jahre geschaffene Überwachungsklima wirft nun einmal seine Früchte ab. Was Herr Schäuble darf, das darf doch bitteschön eine Stadtverwaltung auch! Zumal, wenn die Beteiligten zur selben Partei gehören. Dass die Gelderner Stadtverwaltung hier nur ihre uneingeschränkte Solidarität mit Herrn Schäuble bekundet, ist so offensichtlich, dass es keiner weiteren Worte darüber bedarf. Die direkt Betroffenen jedoch verstehen das offenbar nicht, sondern regen sich auf: "Das Vertrauen der Bürger und der Parteimitglieder ist nachhaltig geschädigt", sagt er. Dass er nie Mails über die CDU-Adresse weitergeleitet bekam, machte ihn nicht stutzig: "Ich dachte, in so einer kleinen Ortschaft wie hier in Walbeck nutzen die Bürger eben keine Mails, sondern sprechen mich direkt an. Hier kennt ja jeder jeden." Das ist insofern nicht verwunderlich, als man auch beim großen Bruder Schäuble nicht weiss, was da alles abgefangen wird. Die Wogen können nur noch durch Frau Ingenstau geglättet werden, und zwar sofort, denn bis ein Gericht sich der Sache angenommen und darüber entschieden hat, geht zuviel Zeit ungenutzt verloren. Eine Stellungnahme liess also nicht lange auf sich warten: Stadtverbands-Vize Marianne Ingenstau bestätigt auf RP-Nachfrage, dass es die Umleitung "seit etwa einem Jahr" gibt. Vorher seien die E-Mail-Adressen gar nicht aktiviert gewesen. Der Stadtverbandsvorstand habe sich "rechtlich schlau gemacht und glaubt nicht, dass es da Probleme gibt", so Ingenstau. "Demnach ist eine Mail wie eine Postkarte zu bewerten", sagt sie. Als Verletzung des Briefgeheimnisses im Sinne des Strafgesetzbuches gilt die unbefugte Öffnung eines verschlossenen Briefes. Wo sich der Stadtverbandsvorstand rechtlich schlau gemacht hat, ist und bleibt ein Rätsel, fest steht nur, dass das nicht beim Landesarbeitsgericht München geschehen ist. In dessen Urteil ist nirgendwo vom Briefgeheimnis die Rede und schon gar nicht von Postkarten. Eine E-Mail wird nun einmal nicht in einem Umschlag versendet und deshalb liegen hier andere Voraussetzungen vor: Das Unternehmen habe sich vielmehr darauf verlassen können müssen, dass seine Systemadministratoren auch in Ausnahmesituationen die eingeräumten Zugriffsrechte nicht missbrauchen und nach Material suchen, das andere Arbeitnehmer oder gar die Geschäftsführer belaste. Auch im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung habe eine Entscheidung zu Gunsten des Klägers nicht fallen können. Vielmehr habe der Kläger im Laufe des Verfahrens durch sein beständiges Leugnen des Vorfalls und seine Vertuschungsversuche eindrucksvoll bewiesen, dass ihm seine besondere Vertrauensstellung nicht bewusst gewesen sei. Auf den weiteren Verlauf dieser Angelegenheit bin ich schon gespannt, befürchte aber, dass sich die Streithähne aussergerichtlich einigen werden. Denn ein rechtsgültiges Urteil zugunsten der Kläger könnte ungeahnte Folgen haben für die Sicherheitspolitik des Innenministeriums, das allerdings das E-Mailgeheimnis im Gegensatz zu besagter Stadtverwaltung insofern achtet, als es behauptet, der Inhalt von E-Mails würde nicht auf Vorrat gespeichert. Frau Ingenstau wäre gut beraten, wenn sie sich ihrer 'besonderen Vertrauensstellung' bewusst werden würde. Denn diese lässt sich nicht auf die Frage reduzieren, inwieweit das Briefgeheimnis in Bezug auf E-Mails greift. E-Mails sind weder Briefe noch Postkarten. Dass eigene Parteimitglieder ihr Stasi-Methoden vorwerfen, ist natürlich Schaumschlägerei und viel Getöse. Denn was Frau Ingenstau tut, ist schlimmer. Weil sie durch ihre Kontrollewut alles und jeden unter Generalverdacht stellt, bedient sie sich chinesischer Zensur-Methoden, die das ihrerseits wieder bei der Gestapo abgeguckt haben. Aber wie sagte ein CDU-Kollege so schön? Von den Chinesen kann man noch was lernen!
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