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Für die Behörden
(aber nicht nur)

 


 

Ganz unabhängig davon, wieviele IP-Adressen mir dieses Mal zugeteilt werden, es ist für mich an der Zeit, mich einmal ganz grundsätzlich mit dem schleichenden Verlust der grundgesetzlich garantierten Freiheitsrechte auseinander zu setzen. Aber keine Bange, ich werde gnädig sein. Denn etwas ist passiert, was ich immer schon befürchtet habe: Mit sechzig Jahren werde ich konservativ! Ausgerechnet ich! Ich kann es noch gar nicht glauben, ich stehe daneben und bewundere dieses Naturschauspiel, auf das ich so gar keinen Einfluss habe. An sich ändert sich ja kaum etwas, nur Kleinigkeiten wie etwa die Ziele meiner Satire und, genau betrachtet, ändern sich nicht einmal diese. Jedoch: Herr Schäuble wird gerade in diesem Moment mein Held, ja glaubt mans denn! Ausgerechnet er, der in der ganzen Geschichte des "Roten Punktes" so schlecht weggekommen ist! Ich bereue nichts, was ich geschrieben habe und sehe auch keinerlei Anlass, irgend etwas zu korrigieren oder gar zurückzunehmen, ich werde Herrn Schäuble aber die Genugtuung geben, dass ich ihn plötzlich verstehe. Kein Minister vor ihm ist so oft vom Bundesverfassungsgericht zurückgepfiffen worden und neue Verfahren stehen an, da trifft es sich gut, dass er auf einen hohen Posten bei der EU abgeschoben werden soll. So kann er sich doch einigermnaßen unbeschadet aus der Affäre ziehen und das nicht ohne gewisse Hintergedanken, wie sich noch zeigen wird. Es ist schon gemein vom Bundesverfassungsgericht, dass es ihm bei wiederholten Gelegenheiten verfassungswidrige Politik zur Last gelegt hat, obwohl er nur seinen Amtseid umsetzen wollte, nämlich Schaden vom deutschen Volke abzuwenden, das im Übrigen so hinterwäldlerisch ist, dass es eines Ministers wie Herrn Schäuble bedarf, um eben das zu besorgen, damit ein jeder beruhigt sein müdes Haupt zur Ruhe betten kann in der Gewissheit: Der Schäuble wirds schon richten.

Und wie er es gerichtet hat, alle Achtung! Unter dem Schutze der Politikerkollegen durfte er im Abbau der Grundrechte so weit gehen wie noch niemand vor ihm. Das alles gründet sich auf die Erkenntnis, dass die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland der reinste Luxus ist. Ein Luxus, den es abzustellen gilt, damit die Deutschen getreu ihrer zweifelhaften Geschichte weiterhin bevormundet und geknechtet werden können. Denn sie sind es nicht anders gewohnt, aller freiheitlichen Bestrebungen zum Trotz, die sich gelegentlich lautstark Luft machen. Wenn es nach Herrn Schäuble ginge, würde der Staat das Leben seiner Bürger bis ins privateste Detail gestalten und kontrollieren, damit endlich das erreicht wird, wonach in der deutschen Geschichte bis jetzt vergeblich gestrebt wurde: Alle ziehen an einem Strang, sozusagen am Schäuble-Strang. Das Volk ist nun einmal ein Lastposten, nichtwahr, Herr Schäuble? Denn immer wieder gibt es Teile des Volkes, die sich auf ihre verfassungsrechtlichen Grundrechte berufen. Was ist da zu tun? Ein höherer Plan muss her! Die Macht des Bundesverfassungsgerichtes muss gebrochen werden, aber wie? Da kommt Europa gerade recht. Die Verfügungsgewalt sollte also Europa übertragen werden, dem Europa also, in dem Herr Schäuble einen hohen Posten erhalten soll, und damit sollte das Bundesverfassungsgericht elegant, versteht sich, umgangen werden! Leider hat nun ausgerechnet das Bundesverfassungsgericht auch hier einen Strich durch die Rechnung gemacht, es ist schon eine verflixte Geschichte, dass es in diesem Lande noch intelligente Leute gibt, die solch einen genialen Plan durchschauen und dem Ganzen einen Riegel vorschieben. Dass der Staat in Person des Herrn Schäuble und Konsorten dem Grundgesetz Streiche spielt, sollte aber keineswegs als Staatsstreich missverstanden werden. Denn ein solcher kann in Europa nicht verkauft werden. Das kann Deutschland sich schlichtweg nicht leisten, so schade das auch manchem erscheinen mag. Um solchen Fehlinterpretationen vorzubeugen, wurde die Politik der subtilen Schritte erfunden. Das Volk mag man verachten, die Verachtung, die die Großkopfeten dem Volk entgegenbringen, von dessen Steuergeldern auch sie leben, ist beinahe physisch spürbar, aber dennoch wird nach seinen Weisheiten gehandelt, wie etwa dieser: 'Steter Tropfen höhlt den Stein'. Der Krug geht jedoch nur solange zum Brunnen, bis er bricht. In diesem empfindlichen Ungleichgewicht laviert die Politik hierzulande und hat dadurch die bewundernswerte Fähigkeit entwickelt, sich selbst an ihren eigenen Fehlern gesund zu stoßen. Auch Negativreklame ist schließlich Reklame und lieber das, als im Schweigen der Medien zu versinken. Hauptsache. man ist in aller Munde, nach dem Motto: "Das muss schon ein Teufelskerl sein, dass er sich solche Skandale erlauben kann!" Bewundernswerter allerdings ist die Fähigkeit, Skandale so herunterzuspielen, dass sie keine mehr sind! Dem Volk, das zum großen Teil aus treuen Wahlschäfchen besteht, die sich in freiwilliger Selbstzensur der Gedanken inzwischen zur unumstrittenen Meisterschaft geübt haben, ist es eh egal.

Es gibt aber auch immer wieder Geister, die hinter alledem eine Verschwörung wittern. Wie kurzsichtig! Herr Schäuble will nur das Beste für die Bürger, er will sie schützen, vor allem vor sich selbst, (jedoch ganz sicher nicht vor ihm). Er weiss wie kein anderer, dass der mündige Bürger ein Fabelwesen ist. Er weiss wie kein anderer, wie verletzlich der Mensch ist. Ich lege da keinen Zusammenhang, das sei mir fern. Was Herrn Schäuble passiert ist, der als Opfer eines Anschlages seither im Rollstuhl sitzt, ist tragisch und ein solches Schicksal wünscht man niemandem. Er spekuliert nicht auf falsche Rücksichtnahme, wenn er seine Ziele durchsetzen will. Er glaubt an seine Ziele. Er glaubt tatsächlich, dass er das Richtige tut. Er nimmt nicht nur sein eigenes Schicksal in die Hand, sondern ganz selbstlos noch das Schicksal des gesamten deutschen Volkes dazu. Dass das nur auf Kosten der Verfassung möglich ist, ist ein notwendiges Übel, obwohl es gar kein Übel ist, sondern nur gut gemeint. Eine persönliche Genugtuung möchte ich Herrn Schäuble auch nicht unterstellen. Ich bewundere ihn echt, denn allen Widerständen zum Trotz bleibt er sich und seinen Idealen treu. Die alles entscheidende Frage, an der sich die Geister scheiden werden, ist die Frage, inwieweit man solchen Menschen soviel Macht geben sollte. Ich jedenfalls bin für Herrn Schäuble, obwohl ich ihn nicht wählen werde. Mit diesem Widerspruch muss ich leben, sonst niemand. Das fällt mir umso leichter, als es gar kein Widerspruch ist. Macht ist mir deshalb suspekt, weil sie nur allzu leicht missbraucht werden kann, wie die Geschichte und namentlich die deutsche Geschichte lehrt. Und zwar nicht einmal unbedingt willentlich, sondern unbewußt. Unbewußt der Folgen. Es ist immer späteren Generationen vorbehalten, zu urteilen und Zeitgenossen bestenfalls, um zu verurteilen. Schlechtestenfalls allerdings, um blind zu folgen. Gefolgschaft hat Herr Schäuble in allen Lagen der Bevölkerung, das ist nicht das Problem. Das Problem ist der Luxus Grundgesetz, das ihn bis zu hohem Grade in seiner Freiheit des Handelns beschränkt.

Artikel 1 muss also umgeschrieben werden. Um Herrn Schäuble aus der Verlegenheit zu helfen, schlage ich Folgendes vor:
Der Innenminister hat das Grundrecht, frei nach eigenem Ermessen zu handeln. Eine Zensur findet nicht statt!

Inzwischen ist die einzige Zensur, die tatsächlich nicht stattfindet, eine des Handelns des Herrn Schäuble. So sollte der zu ändernde Grundgesetzartikel auch verstanden werden, sonst wäre er ein Widerspruch in sich. Das Bundesverfassungsgericht zensiert Herrn Schäuble nicht, es stellt ihn nur auf die Probe. Es stärkt in der europäischen Frage die Macht und die Rechte des Parlamentes, eines Parlamentes also, das den Fraktionszwang kennt und anwendet, das Gewissensentscheidungen dadurch entgegenwirkt und das Herrn Schäubles Politik bisher auf Händen getragen hat, eines Parlamentes also, das seine Berufung mit seiner Einberufung verwechselt und seine Berufung alleine schon deshalb gründlich verfehlt hat. Herr Schäuble sollte sich nicht beklagen, er hat nichts zu fürchten und schon rein gar nichts zu befürchten. Das Volk ist wenigstens so realistisch, Demokratie und Wahlen in Deutschland mehrheitlich als die Farce zu betrachten, die sie tatsächlich sind. Herr Schäuble hat gewonnen.

Mir bleibt nur, trotz oder gerade wegen meiner neu erworbenen Konservativität, die ich bei dieser Gelegenheit auch gleich wieder ablege - in den Müll damit! - die Konstatierung, dass die Politik sich so weit vom Volke entfernt hat, wie das nur möglich ist: Volksvertreter sind zu Volkszertretern mutiert. Politische Gegnerschaft ist zu einer Show verkümmert, die dem Volke Sand in die Augen streuen soll und darin auch recht erfolgreich ist. Die Ansicht in Kreisen der CDU, man könne in Sachen Überwachung des Volkes von China noch Einiges lernen, ruft nicht den Skandal hervor, den sie verdient hätte. Im Gegenteil, der "Mut" derjenigen, die so etwas öffentlich ässern und nicht sofort stanta pede vor Scham in den Mist ihrer eigenen Gedankenwelt versinken, wird auch noch bewundert. Dasselbe gilt für den schleichenden Abbau der Grundrechte: Durch Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner, Internetzensur usw. usf. Der Bürger ist heutzutage per Definition ein Verdächtiger, dem seine Schuld nicht mehr explizit nachgewiesen werden muss, nein, er muss seine Unschuld beweisen. Anstatt nun ein Aufschrei der Empörung durch die Lande schallt, herrscht die himmlische Ruhe derjenigen, die denken: "Mich betrifft das nicht, ich habe nichts zu verbergen." Die Frage ist für mich: Lohnt es sich, für die Rechte eines Volkes zu kämpfen, dass sich wie ein braves Lamm willenlos zur Schlachtbank führen lässt? Ich fürchte, im Erreichen dieser zentralen Frage haben ich und die Politik zwar nicht denselben Weg beschritten, aber zur gleichen Frage gelangten wir beide. Allerdings unterscheiden sich die Konsequenzen, die aus dieser Fragestellung gezogen werden, ganz enorm voneinander. Während die Politik fröhlich auf dem eingeschlagenen Wege der Volksverarschung weitermacht, siehe den gerade tobenden Wahlkampf, (ich wette hundert zu eins, dass letztendlich das genaue Gegenteil der Wahlversprechen Realität werden wird), sehe ich mich in der mißlichen Lage, keine Wahl zu haben: Ich kann nur genau darauf achten, dass meine ganz persönlichen Freiheitsrechte erhalten bleiben, wenn es sein muss, unter Zuhilfenahme des Bundesverfassungsgerichtes. Mir ist bewußt, dass ich mich dadurch selbst unter Generalverdacht stelle. Erschwerende Verdachtsmomente sind unter Anderem, dass ich Linux benutze und nicht Windows, dass ich einen alternativen (freien) DNS-Server benutze, sodass das unsägliche Stopp-Schild mir nicht nur deshalb erspart bleibt, weil ich mich nicht auf einschlägigen Websites herumtreibe, sondern überhaupt, namentlich, was "versehentlich" zensierte Websites betrifft. Es ist heutzutage ein Leichtes, aus allem ein Verdachtsmoment zu konstruieren. Gelassen sehe ich also dem Bundestrojaner entgegen, schließlich verwende ich Linux und öffne nie unbekannte Mailanhänge, mein Telefon gibt während Gesprächen eh schon eigenartige Hintergrundgeräsche von sich. Ein schlimmes Verdachtsmoment ist, dass ich im Lichte der eher genannten Verdachtsmomente auch noch den lieben langen Tag online zu finden bin, das allerschlimmste Verdachtsmoment ist allerdings, dass ich nichts zu verbergen habe. Das macht mich so richtig verdächtig! Meine Chancen, unbeschadet aus dieser Konstellation herauszukommen, sinken, je mehr ich preisgebe. Allerdings bin ich tausend Mal lieber ein sprachsamer Verdächtiger als ein stiller Mitläufer auf einem erneuten Weg ins deutsche Verderben, in eine sehr subtil inszenierte Diktatur des Geistes! Der gut gemeinte Ratschlag, ich solle solche Gedankenspiele doch lieber für mich behalten, ist nicht ungehört an mir vorübergegangen, befolgen kann ich ihn jedoch nicht. Ich möchte zu jeder Tages- und Nachtzeit ohne Scham und schlechtes Gewissen in den Spiegel schauen können, heutzutage eine Luxusposition, ich weiss. Eine Position, die ich nur mit sehr Wenigen teile und ganz sicher nicht mit Politikern, die etwas auf sich halten. Der leise Zweifel, der dann lästigerweise pausenlos all mein Tun und Lassen begleiten würde, wäre mit zuviel des Schlechten. Zuviel des Guten kann es gar nicht geben!

 


 

Um trotz alledem meinen guten Willen gegenüber den Behörden zu demonstrieren und mein neu erworbenes, aber schon wieder in den Müll gedonnertes konservatives Gemüt zur Schau zu stellen, veröffentliche ich hier die mir seit dem letzten Heft zugeteilten IP-Adressen. Im Lichte des Voranstehenden mag das manchem als Höhepunkt der satirischen Betrachtung erscheinen, ich versichere aber hoch und heilig, dass nichts mir ferner liegt als dieses. Ich bin mir über die nicht vorhandene Weisungsbefugtheit eines ausführenden Beamten völlig im Klaren.

 

IP-Adresse

18. Juli 2009

 

IP-Adresse

22. Juli 2009

 

IP-Adresse

23. Juli 2009

 

IP-Adresse

26. Juli 2009

 


 

Zum Sonderheft "Drei Künstler/innen":

 

 

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