Ein Kontrast

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Als ob es der Kontraste noch nicht genug ist, setze ich mit unvermindertem Elan die Veröffentlichung des Godesberger Programms der SPD fort, dieser ganz und gar unschlagbaren Satire, die in jedem ihrer Sätze beweist, dass jedes mein weiteres Mühen vergebliche Liebesmüh' ist.

Religion und Kirche

Nur eine gegenseitige Toleranz, die im Andersglaubenden und Andersdenkenden den Mitmenschen gleicher Würde achtet, bietet eine tragfähige Grundlage für das menschlich und politisch fruchtbare Zusammenleben. Der Sozialismus ist kein Religionsersatz. Die Sozialdemokratische Partei achtet die Kirchen und die Religionsgemeinschaften, ihren besonderen Auftrag und ihre Eigenständigkeit. Sie bejaht ihren öffentlich-rechtlichen Schutz.

Zur Zusammenarbeit mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften im Sinne einer freien Partnerschaft ist sie stets bereit. Sie begrüßt es, daß Menschen aus ihrer religiösen Bindung heraus eine Verpflichtung zum sozialen Handeln und zur Verantwortung in der Gesellschaft bejahen.

Freiheit des Denkens, des Glaubens und des Gewissens und Freiheit der Verkündigung sind zu sichern. Eine religiöse oder weltanschauliche Verkündigung darf nicht parteipolitisch oder zu antidemokratischen Zwecken mißbraucht werden.

Die Schule

Erziehung und Bildung sollen allen Menschen die Möglichkeit geben, ihre Anlagen und Fähigkeiten unbehindert zu entfalten. Sie sollen die Widerstandskraft gegen die konformistischen Tendenzen unserer Zeit stärken. Kenntnis und Aneignung der überlieferten kulturellen Werte und Vertrautheit mit den formenden Kräften des gesellschaftlichen Lebens der Gegenwart sind Grundlagen unabhängigen Denkens und freier Urteilsbildung.

Die Jugend ist in den Schulen und Hochschulen gemeinsam im Geiste gegenseitiger Achtung zur Freiheit, zur Selbständigkeit, zum sozialen Verantwortungsbewußtsein und für die Ideale der Demokratie und der Völkerverständigung zu erziehen, um in unserer an weltanschaulichen Überzeugungen und Wertordnungen vielgestaltigen Gesellschaft eine Gesinnung und Haltung des Verstehens, der Toleranz und der Hilfsbereitschaft zu erreichen. Dazu gehört, daß in den Lehrplänen aller Schulen staatsbürgerliche Erziehung angemessen berücksichtigt wird.

Musische Erziehung und handwerkliche Betätigung sollen in der Bildung ihr hohes Gewicht haben. Staat und Gesellschaft sind verpflichtet, durch Erziehung und durch ihre Bildungseinrichtungen dem ganzen Volk eine Vertrautheit mit der Kunst und dem künstlerischen Schaffen zu ermöglichen.

Sport und körperliche Erziehung haben Anspruch auf allseitige Förderung durch Staat und Gesellschaft. Sie dienen der Gesundheit des einzelnen und sind wesentlich für die Formung des Geistes der Solidarität.

Die Mitwirkung der Eltern in der Schulerziehung und eine Mitverwaltung der Schüler sollen an allen Schulen ausgebaut werden. Organisation des Schulwesens und Lehrpläne müssen so gestaltet werden, daß sich alle Begabungen auf allen Stufen der Entwicklung entfalten können. Jedem Befähigten muß der Weg in weiterführende Schulen und Ausbildungsstätten jederzeit offenstehen. Der Besuch aller öffentlichen Schulen und Hochschulen muß kostenlos sein. Lehr- und Lernmittel sollen an diesen Schulen und Hochschulen unentgeltlich zur Verfügung stehen.

Die allgemeine Schulpflicht ist auf zehn Jahre auszudehnen. Die Berufsschulen haben nicht nur der fachlichen, sondern auch der allgemeinen und staatsbürgerlichen Bildung und Erziehung zu dienen.

Neue Wege zur Hochschule müssen eröffnet werden. Da der Bildungsweg über Grundschule und Oberschule nicht alle Begabungen erschließen kann, müssen durch den Zweiten Bildungsweg über Berufsarbeit, Berufsschulen und besondere Bildungseinrichtungen neue Möglichkeiten geschaffen werden, zur Hochschulreife zu gelangen.

Alle Lehrer sollen an wissenschaftlichen Hochschulen ausgebildet werden. Ein gutes Schulwesen verlangt Erzieherpersönlichkeiten, die sich selbständig mit allen Problemen der Zeit auseinandersetzen.

Die Wissenschaft

Wissenschaftliche Forschung und Lehre müssen frei sein. Ihre Ergebnisse sind der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ausreichende öffentliche Mittel für Forschung und Lehre müssen zur Verfügung gestellt werden. Der Staat hat Vorsorge zu treffen, daß Forschungsergebnisse nicht zum Schaden der Menschheit mißbraucht werden. Ein unabhängiger Forschungsrat soll in eigener Verantwortung der Forschung helfen, jeweils vordringliche Aufgaben zu stellen und zu lösen. Von der Förderung wissenschaftlicher Forschung und Lehre darf kein Gebiet der Wissenschaft ausgenommen sein.

Die Bewältigung der politischen, menschlichen und sozialen Probleme der sich entwickelnden Industriegesellschaft und die Bewahrung menschlicher Freiheit in ihr verlangen den Ausbau und die Vertiefung der Wissenschaft vom Menschen und der Gesellschaft. Die ihr gewidmeten Anstrengungen müssen an Intensität dem entsprechen, was für die Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik geleistet wird.

Freiheit und Unabhängigkeit der Hochschulen bleiben unberührt. Die Hochschulen können aber nicht isoliert von der übrigen Lebenswirklichkeit bestehen und sollten darum mit anderen Institutionen der demokratischen Gesellschaft, insbesondere mit den Einrichtungen der Erwachsenenbildung, zusammenarbeiten.

Eine großzügige Förderung soll den Studierenden ihre wissenschaftliche Ausbildung sichern. Allen Studierenden soll eine politische und sozialwissenschaftliche Grundbildung vermittelt werden.

Ein modernes Bildungswesen für Erwachsene muß Gelegenheit geben, Wissen, Urteilsvermögen und Fähigkeiten auch nach Beendigung der Schulerziehung zu erwerben und zu vertiefen, die für mitverantwortliches Handeln im demokratischen Staat unentbehrlich sind.

Die Kunst

Künstlerischem Schaffen ist volle Freiheit zu gewähren. Staat und Gemeinden sind zur Hergabe von Mitteln verpflichtet, die der Förderung schöpferischer Gestaltungskraft und der Vermittlung kultureller Werte aus allen Bereichen der Kunst dienen sollen. Die künstlerische Entfaltung darf durch kein Reglement, insbesondere durch keine Zensur, beschränkt werden.

Internationale Gemeinschaft

Die größte und dringendste Aufgabe ist es, den Frieden zu bewahren und die Freiheit zu sichern.

Der demokratische Sozialismus ist immer von dem Gedanken der internationalen Zusammenarbeit und Solidarität erfüllt gewesen. In einer Zeit internationaler Verflechtungen aller Interessen und Beziehungen kann kein Volk mehr für sich allein seine politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Probleme lösen. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands läßt sich von der Erkenntnis leiten, daß die kulturellen, wirtschaftlichen, rechtlichen und militärischen Aufgaben der deutschen Politik in enger Verbindung mit den anderen Völkern gelöst werden müssen. Normale diplomatische und Handelsbeziehungen mit allen Nationen sind ungeachtet der Regierungssysteme und der gesellschaftlichen Strukturen unerläßlich. Internationale Schiedsgerichte, Vergleichsverträge, Selbstbestimmungsrecht und Gleichberechtigung aller Völker, die Unverletzlichkeit der Staatsgebiete und die Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Völker sollen den Frieden sichern, den eine Weltorganisation garantiert.

Die Vereinten Nationen müssen die allgemeine Weltorganisation werden, die sie ihrer Idee nach sein sollen. Ihre Grundsätze sollen allgemeinverbindlich sein. Ein Volksgruppenrecht, das im Einklang mit den von den Vereinten Nationen verkündeten Menschenrechten steht, ist unentbehrlich. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands vertritt das Recht aller Menschen auf ihre Heimat, ihr Volkstum, ihre Sprache und Kultur.

Als Schritte auf dem Wege zu einer allgemeinen Abrüstung und zur Entspannung internationaler Beziehungen sind regionale Sicherheitssysteme im Rahmen der Vereinten Nationen aufzubauen. Das wiedervereinigte Deutschland soll mit allen Rechten und Pflichten Mitglied eines europäischen Sicherheitssystems werden. Die wirtschaftliche Entwicklung drängt zur Zusammenarbeit der europäischen Staaten. Die Sozialdemokratische Partei bejaht diese Zusammenarbeit, die insbesondere dem wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt dienen muß. Regional begrenzte übernationale Gemeinschaften dürfen nicht zur Abschließung gegenüber der Außenwelt führen. Die gleichberechtigte Zusammenarbeit und ein für alle Nationen offener Welthandel sind Voraussetzungen für das friedliche Zusammenleben.

Die demokratischen Staaten müssen ihre Solidarität vor allem mit den Entwicklungsländern bekunden. Noch immer lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in tiefster Armut und Unwissenheit. Solange nicht der Weltreichtum neu verteilt und die Produktivität in den Entwicklungsländern erheblich gesteigert ist, bleibt die demokratische Entwicklung gefährdet und der Friede bedroht. Alle Völker sind verpflichtet, Hunger, Elend und Seuchen in gemeinsamer Anstrengung zu bekämpfen. Die Entwicklungsländer haben Anspruch auf großzügige und uneigennützige Hilfe. Ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung muß von den Ideen des demokratischen Sozialismus erfüllt werden, damit sie nicht neuen Formen der Unterdrückung verfallen.

Unser Weg

Die sozialistische Bewegung erfüllt eine geschichtliche Aufgabe. Sie begann als ein natürlicher und sittlicher Protest der Lohnarbeiter gegen das kapitalistische System. Die gewaltige Entfaltung der Produktivkräfte durch Wissenschaft und Technik brachte einer kleinen Schicht Reichtum und Macht, den Lohnarbeitern zunächst nur Not und Elend. Die Vorrechte der herrschenden Klassen zu beseitigen und allen Menschen Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand zu bringen das war und das ist der Sinn des Sozialismus.

Die Arbeiterschaft war in ihrem Kampf nur auf sich gestellt. Ihr Selbstbewußtsein wurde geweckt durch die Erkenntnis ihrer eigenen Lage, durch den entschlossenen Willen, sie zu verändern, durch die Solidarität in ihren Aktionen und durch die sichtbaren Erfolge ihres Kampfes.

Schweren Rückschlägen und manchen Irrtümern zum Trotz hat die Arbeiterbewegung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert die Anerkennung vieler ihrer Forderungen erzwungen. Der einst schutz- und rechtlose Proletarier, der sich für einen Hungerlohn täglich sechzehn Stunden schinden mußte, erreichte den gesetzlichen Achtstundentag, den Arbeitsschutz, die Versicherung gegen Arbeitslosigkeit, Krankheit, Siechtum und für seinen Lebensabend. Er erreichte das Verbot der Kinderarbeit, der Nachtarbeit für die Frauen, den Jugend- und Mutterschutz und bezahlten Urlaub. Er erstritt sich die Versammlungsfreiheit, das Recht zum gewerkschaftlichen Zusammenschluß, das Tarifrecht und das Streikrecht. Er ist dabei, sein Recht auf Mitbestimmung durchzusetzen. Der einst das bloße Ausbeutungsobjekt der herrschenden Klasse war, nimmt jetzt seinen Platz ein als Staatsbürger mit anerkannten gleichen Rechten und Pflichten.

In einigen Ländern Europas wurden unter sozialdemokratischen Regierungen bereits die Fundamente einer neuen Gesellschaft gelegt. Soziale Sicherheit und die Demokratisierung der Wirtschaft werden in zunehmendem Maße verwirklicht.

Diese Erfolge sind Meilensteine auf dem opferreichen Weg der Arbeiterbewegung. Sie hat mit ihrer wachsenden Befreiung der Freiheit aller Menschen gedient. Die Sozialdemokratische Partei ist aus einer Partei der Arbeiterklasse zu einer Partei des Volkes geworden. Sie will die Kräfte, die durch die industrielle Revolution und durch die Technisierung aller Lebensbereiche entbunden wurden, in den Dienst von Freiheit und Gerechtigkeit für alle stellen. Die gesellschaftlichen Kräfte, die die kapitalistische Welt aufgebaut haben, versagen vor dieser Aufgabe unserer Zeit. Ihre Geschichte ist eine imponierende Entfaltung technischen und wirtschaftlichen Aufschwungs, aber auch eine Kette verheerender Kriege, riesiger Massenarbeitslosigkeit, enteignender Inflationen und wirtschaftlicher Unsicherheit. Die alten Kräfte erweisen sich als unfähig, der brutalen kommunistischen Herausforderung das überlegene Programm einer neuen Ordnung politischer und persönlicher Freiheit und Selbstbestimmung, wirtschaftlicher Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit entgegenzustellen. Deshalb können sie auch nicht den Anspruch der jungen Staaten auf solidarische Hilfe erfüllen, die eben das Joch der kolonialen Ausbeutung abschütteln und die ihre nationale Zukunft in Freiheit aufbauen und am Wohlstand der Welt teilnehmen wollen. Sie wehren sich gegen die Lockung der Kommunisten, die sie in ihren Machtbereich einzubeziehen versuchen. Die Kommunisten unterdrücken die Freiheit radikal. Sie vergewaltigen die Menschenrechte und das Selbstbestimmungsrecht der Persönlichkeit und der Völker. Gegen ihren Machtapparat stellen sich heute zunehmend auch die Menschen der kommunistisch regierten Länder selber. Auch dort vollziehen sich Wandlungen. Auch dort wächst das Freiheitsstreben, das keine Herrschaft auf die Dauer völlig niederhalten kann. Aber die kommunistischen Machthaber kämpfen um ihre Selbstbehauptung. Auf dem Rücken ihrer Völker errichten sie eine wirtschaftliche und militärische Macht, die zur wachsenden Bedrohung der Freiheit wird.

Darum ist die Hoffnung der Welt eine Ordnung, die auf den Grundwerten des demokratischen Sozialismus aufbaut, der eine menschenwürdige Gesellschaft, frei von Not und Furcht, frei von Krieg und Unterdrückung schaffen will, in Gemeinschaft mit allen, die guten Willens sind.

Jeder, Mann und Frau, ist aufgerufen, hier und in allen Ländern der Erde. Auf deutschem Boden sammeln sich die Sozialisten in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die jeden in ihren Reihen willkommen heißt, der sich zu den Grundwerten und Grundforderungen des demokratischen Sozialismus bekennt.


Dass wohlgemerkt lediglich drei Sätze an die Kunst, in Analogie zum kulturellen Leben, verschwendet werden, macht mir das Godesberger Programm jetzt echt sympathisch und ich hätte mir wiederum nur gewünscht, dass diese prägnante Knappheit des Ausdrucks auch bei den anderen Themenkomplexen Eingang gefunden hätte, insbesondere bei 'Unser Weg'. Das kulturelle Leben und die Kunst sind zwar zwei Paar Stiefel, die in ihrer Knappheit jedoch ganz leicht in einen Schuh gepasst hätten!


 

 

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