Die Wunderreise

setzt sich fort, ganz mit und ohne unserem Zutun

Stichwortsuche im "Roten Punkt":


I.

Wir leiden beide ziemlich unter der Julihitze, Mausi am meisten, da sie Hitze ganz schlecht verträgt. Auch die Nächte sind noch heiss, unter 19 Grad am frühen Morgen kellert die Temperatur nicht. Das hat unter anderem zur Folge, dass Mausi mich mit einer CD verwechselt. Sie schrieb mir vorhin mit einem roten CD-Marker auf den Bauch: "Ich liebe dich! Ich küsse dich!" So schmeichelhaft das auch ist, die echte Küsserei ist mir sowieso lieber, wie soll ich das wieder wegkriegen? Einfach die Natur ihren Gang gehen lassen und warten, bis die Haut erneuert ist? Oder etwa kalt abschrubben? Der Gedanke ist sehr verlockend angesichts der Hitze. Noch verlockender allerdings ist der Gedanke, der Verursacherin die Schrubbarbeit zu überlassen. Vorsichtshalber begebe ich mich in die Startlöcher - man weiss ja nie! - und schlage ihr das vor.....

Ui, gerade noch entwischt und heil davongekommen!!!!!


 

Kriegsbemalung, schließlich hat sie mich gekriegt.....

 


Wir beide zählen also zu den wenigen Menschen, die den Sommer nicht geniessen, sondern sich ganz im Gegenteil auf den Herbst, den Winter und den Frühling freuen. Dann wird das Schlafzimmer zur Kältekammer, denn Mausi hat das ganze Jahr im Schlafzimmer alle Fenster weit offen, egal, wie kalt es ist. Selbst ich habe längere Zeit, als ich meine Mausi noch nicht persönlich kannte, über dieses Phänomen theoretisiert und mir den Kopf nach der Lösung zerbrochen. Dabei ist diese Lösung ganz einfach: Frische Luft geniesst den Vorzug vor nächtlicher Wärme. Das stimmt jedoch nur zum Teil, denn es betrifft ausdrücklich den Zustand der Luft und sonst gar nichts. Die Betten werden durch Heizdecken vorgewärmt und die menschliche Wärme ist sowieso in jeder Situation bei uns da, unverkennbar und nicht zu negieren. Diese paradiesische Situation hat natürlich auch ihre Auswirkung auf unser beider Arbeit. Wir beide fühlen uns sauwohl und voller Energie und Tatendrang. Wir kommen jedoch lange nicht genug zum Arbeiten. Es gibt immer lange Gespräche oder Dinge, die erledigt werden müssen und wofür wir zwei Verlobten außer Hauses müssen.


 

 


Über Mangel an Arbeit allerdings kann ich wirklich nicht klagen. Auf dem Gebiete der Komposition tut sich einiges, neue Projekte sind aber noch im Stadium der Reifung, ich lasse solchen Prozessen alle Zeit, denn das erspart mir letztendlich eine Menge Arbeit. Es ist ein Leichtes für mich, eine Komposition, die im Kopf gereift ist, aufzuschreiben. Das Suchen nach den richtigen Tönen ist bereits abgeschlossen und das Werk lebt in meiner inneren Welt und fühlt sich wohl. Inzwischen arbeite ich an diesem vorliegenden Heft, das mir wieder relativ leicht von der Hand geht, obwohl die Themen alles andere als leicht sind. Eine gewisse Leichtfertigkeit erleichtert mir aber eine solche Arbeit genau so lange, bis diese fertiggestellt ist. Dann lese ich Korrektur und wundere mich jedesmal über die Zielstrebigkeit meiner Gedankenwelt, beim Schreiben empfinde ich das ganz und gar nicht so, sondern eher als ein gedankliches Kaleidoskop, das sich in jede Richtung entwickeln kann, das jede Färbung annehmen kann. Insofern verhält sich der Schaffensprozeß wie beim Komponieren, die große Form liegt schon in der kleinen Form beschlossen, sie wird durch die kleine Form bedingt. Es ist wie ein Makrokosmos, der sich ganz organisch aus lauter Mikrokosmen zusammensetzt.


 

Bei der Arbeit an diesem Heft

 


II.

In Durlach gibt es ein indisches Restaurant, das meine Mausi und ich gelegentlich mit unserem Besuch beehren. Da wir kaum das Haus verlassen, ausser, wenn es unbedingt nötig ist, sind solche Momente immer ein kleines Fest. Dieses Restaurant ist ein wunderbarer Platz: Die ganze Einrichtung ist original indisch, die Möbel deutlich handgemacht, die ganze Atmosphäre strahlt eine große Ruhe aus. Das einzig Deutsche an diesem Restaurant ist der Biergarten und demzufolge auch das Bier. Da jedoch deutsches Bier bekanntlich das beste Bier der Welt ist, akzeptieren wir dieses kleine Manko ohne Murren. Die Speisekarte ist zweisprachig gehalten, indisch und deutsch, was für Engländer oder gar Franzosen ein unüberwindliches Hindernis darstellt, sodass wir Deutsche unter uns sind. In solchen Momenten erwacht mein Patriotismus und läuft schnurstraks zur Hochform auf. Dann kommt aber das übrigens hervorragende indische Essen auf den Tisch und wie von Zauberhand bin ich wieder Kosmopolit. So zwischen zwei Welten hin- und hergerissen, besinne ich mich schnell, schaue meine Mausi an und schon verschwinden wir wieder in der Versenkung unserer eigenen Welt. Der Ober ist ein Inder, der allerdings besser deutsch spricht als so mancher Deutsche, denn er versteht all das nicht, was er nicht verstehen will. Ganz abgesehen davon, wie bewundernswert handlich und kommerziell gedacht eine solche Einstellung ist, sie verschafft ihm obendrein eine Aura der subtilen Überlegenheit, um die so mancher Deutsche ihn beneiden darf.

Auf allen Fronten gestärkt, kehren wir dann heimwärts, fahren unsere PC's hoch und widmen uns unseren Tätigkeiten, nicht ohne sehr viel und sehr lieb zueinander zu sein. Das ist das Schöne bei uns beiden: Egal, was passiert, wir formen immer eine Front, schon rein gefühlsmäßig, und erleben deshalb keine ernsten Konflikte. Im Gegenteil, ernste Konflikte erleben uns. Weil bei uns ein derart tiefes Verständnis herrscht, sind wir für alles gerüstet, aufgerüstet genug, um alle Hindernisse abzurüsten. So hinderlich das Leben auch sein kann, wir haben die Stirn, den Hinderlichkeiten eben diese zu bieten.


III.

 

Aus dem letzten Teil der Suite #3

 


Der Download der dritten Suite op.71 wird auch in diesem Heft noch einmal an dieser Stelle angeboten, der Link steht unten auf dieser Seite. Der Untertitel des Werkes "About And For L." lässt schon vermuten, dass es meine ursprüngliche Absicht war, in diesem Stück ein musikalisches Porträt meiner Mausi zu zeichnen, die mit Vornamen eigentlich Lotti heißt und schon alleine deshalb nicht mit Helmut Lotti, dem Sänger, verwandt ist, weil dieser mit Nachnamen Lotti heisst, vorausgesetzt, dass das kein Pseudonym ist. Wie grandios diese Absicht in der Praxis gescheitert ist, das ist im 25. Heft nachzulesen. Für alle, die dieses Heft nicht gelesen haben, folgt hier noch einmal die Gliederung des Werkes:

Johannes Rövenstrunck

Suite #3 op. 71
"About And For L."

for piano solo

I. Fantasia: Amabile
II. Courante: Misterioso
III. Sarabande I: Pensoso
IV. Passepied: Spiritoso ma in parte calmo
V. Sarabande II: Canzone da pietà
VI. Giga: Esercizio in velocità

for Lotti

Diese Suite ist die dritte in einer ganzen Reihe geplanter Suiten, die als Hauptmerkmal aufweisen, dass sie die barocke Suitenform in meine musikalische Welt und damit in die Jetztzeit transformieren. Daraus ist schon ersichtlich, wie hoffnungslos konservativ ich bin. Dazu kommt noch, dass es mir ein diebisches Vergnügen bereitet, Vorurteilen richtig Zunder zu geben. Via via musste ich vernehmen, dass hier und da das Vorurteil grassiert, ich sei selbstherrlich. An diejenigen, die sich angesprochen fühlen: Bitte noch nicht rotwerden, nur Geduld! Ich tue nämlich nichts lieber, als hier den lebenden Beweis anzutreten, dass dieses Vorurteil tatsächlich voll und ganz der Wahrheit entspricht: Anstatt mir etwas Neues einfallen zu lassen, lasse ich mir etwas Neues einfallen, durch mir nichts Neues einfallen zu lassen. So verwirrend das auch klingen mag, es ist die reine Wahrheit. Alles, was mir einfällt, ist neu, für mich sehr sicher, denn es würde mir nicht im Traume einfallen, mir etwas Altes einfallen zu lassen. Selbst wenn das scheinbar passiert, ist mein Einfall ein neuer, eben, weil er mir einfällt. Alles, was mir einfällt, fällt mir in meiner Umgebung ein, in meiner eigenen inneren Welt. Schon deshalb ist mein Einfall mein eigener und deshalb ein neuer, selbst wenn er früher oder später, meistens passiert das später, auch jemand anderem einfällt.


IV.

Die Verlobung von meiner Mausi und mir hält und ihr scheint ein langes Leben beschoren zu sein, denn weit und breit sind weder Hindernisse noch weiterführende Pläne zu entdecken. Womit ich nicht sagen will, dass weiterführende Pläne per Definition Hindernisse sind, obwohl das oft so zu sein scheint. Wir machen es besser, denn wir sorgen auch dafür, dass wir Stunden ohne einander haben. Ich habe mich vergeblich bemüht, Mausis Nachtrhythmus anzunehmen, das glückt nur zur Hälfte: Ich gehe spät schlafen und bin doch morgens um 6 spätestens wieder auf. Sie aber schläft bis mittags, wenn nötig und so habe ich meine Stunden allein, die meistens sehr fruchtbar sind. In diesem Moment, da ich dies hier schreibe, ist es 6.14 Uhr morgens und klar ist eins: Morgenstund hat Ins. im Mund. Die Bedeutung der Abkürzung Ins. enthülle ich nicht, es steht meiner Leserschaft frei, hier selbst inspiriert zu Werke zu gehen. Klarstellen möchte ich nur, dass Insinuation nicht gemeint ist, ganz zu schweigen von Insubordination.

Unser gemeinsames Leben kennt neben unseren Höhenflügen auch tiefe Höhen und hohe Tiefen. Diese sind der Tatsache zuzuordnen, dass wir beide an einer chronischen Erkrankung leiden. Diese Erkrankungen sind bei uns sehr verschiedener Natur, aber das ist eigentlich ziemlich unwichtig, weil jede Erkrankung und sicher eine chronische nicht nur eine Krankheit, sondern auch ein Zustand ist. Weil wir das begreifen, begreifen wir uns auch in diesem Punkte zutiefst, besser, als es mit einem gesunden Partner je möglich wäre. Wir schämen uns nicht für unsere Erkrankungen, diese sind der normale Zustand des Seins. Über die Art unserer Erkrankungen lasse ich mich nicht aus, will aber allen Rätselfreunden einige Hinweise auf meine Erkrankung geben, denn die ist wesentlich leichter zu erraten als Mausis Krankheit. Neuesten Erkenntnissen zufolge ist meine Erkrankung eine, die vorwiegend körperliche Ursachen hat. Wie bei jeder anderen Krankheit hat das aber auch psychische Konsequenzen. Der Bewegungsapparat ist nicht betroffen, dennoch ist meine neueste Trophäe ein Schwerbehindertenausweis. Zur Beruhigung, nicht zuletzt zu meiner eigenen, erkläre ich, dass der Grad der Schwerbehinderung nur 50% beträgt, das bedeutet im Klartext, dass ich zur Hälfte normal funktioniere, was deutlich mehr ist, als man von den meisten Menschen behaupten kann. Der Vorteil meiner Erkrankung liegt darin, dass absolute geistige Freiheit und eine eigene, starke und völlig unabhängige, autarke innere Welt unabdingbare Voraussetzungen für das künstlerische und auch menschliche Funktionieren sind. Mein jahrelanger behandelnder Arzt in Geilenkirchen damals wollte einmal von mir wissen, ob ich mich eigentlich krank fühlen würde. Diese Frage konnte ich nur verneinen. Daraufhin wollte er wissen, ob ich meine Umwelt als vorwiegend krank erfahren würde. Diese Frage konnte ich nur bejahen. Er lächelte weise und auch etwas traurig und meinte: "Da kannst du sogar Recht haben."

Diese Hinweise sollten genügen, um des Rätsels Lösung wenigstens nahe zu kommen. Der Preis für die Lösung des Rätsels ist eine Einladung bei uns, und zwar zum Kartoffelsalatessen, das unvergeßlich bleiben wird, denn Mausi macht den Kartoffelsalat. Sollten reisetechnische Gründe der Einladung im Wege stehen, verschicke ich gerne das Rezept. Ausgeschlossen von der Teilnahme sind selbstverständlich die wenigen Leserinnen und Leser, die um meine Erkrankung wissen. Eine kurze Beschreibung unseres Umfeldes könnte auch appetitanregend wirken:

Meine Mausi und ich leben in einem Dorf, das mag für viele überraschend sein. Offiziell ist dieses Dorf ein Stadtteil von Karlsruhe. Das ist aber nicht der Grund, der dieses Dorf zu einem besonderen Dorf macht. Auch nicht, dass es hier nicht nur einen Dorfkauz gibt, sondern deren mehrere, uns selbstverständlich mitgerechnet. Auch nicht, dass hier ein lokaler Sekt produziert wird, denn der widerspiegelt die Art des Dorfes keineswegs, es ist trockener Sekt. Das Besondere an diesem Dorf ist, dass meine Mausi und ich hier wohnen. Dieses Dorf ist übrigens auch bekannt als "Badisches Malerdorf", in dem bis heute eine ganze Reihe Maler leben und arbeiten. Wenn es in der Welt gerecht zuginge, dann müsste dieses Dorf die Kreisstadt sein und nicht Karlsruhe selbst. Denn dieses Dorf existierte als erstes, schon im frühen Mittelalter. Von hier aus wurde Durlach gegründet und später erst von Durlach aus Karlsruhe. Karlsruhe hat aber sowohl Durlach als auch dieses Dorf einverleibt und so bin ich Karlsruher, nur offiziell, versteht sich. Denn ich bin einfach ich und sonst gar nichts.


V. Nachtrag

Die Verlobung von meiner Mausi und mir hält und ihr scheint ein langes Leben beschoren zu sein, denn weit und breit sind weder Hindernisse noch weiterführende Pläne zu entdecken. Allerdings lerne ich in einigen Höhenflügen die Tiefen der Frauenseele kennen, sozusagen als Tiefflieger, der in die Höhen der Frauenseele hinuntersteigt, um von dort aus ihre Tiefen zu erkunden. Denn tief sind diese, das wird aus der Symbolik schon deutlich. Diese Symbolik manifestiert sich in den Verlobungsringen, wie könnte es auch anders sein. Und, wie könnte es auch anders sein, die gewählten Verlobungsringe sind, je nach Stimmung, nicht gut genug. Also muss eine Sammlung her! Und so werde ich gelegentlich überrascht durch neue Ringe wie etwa diese, aus Edelstahl, denn wir sind hart wie Stahl und dabei, wie könnte es auch anders sein, durchaus edel von Natur:



 

Download der Suite #3, op. 71:

 

 

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