Sonett


 

Die Reihe der Sonette wird fortgesetzt, links das Original von William Shakespeare und rechts die Nachdichtung von Karl Kraus.

 

XVII

Das Original von William Shakespeare

Who will believe my verse in time to come
If it were filled with your most high deserts?
Though yet heaven knows it but as a tomb
Which hides your life, and shows not half your parts:

If I could write the beauty of your eyes,
And in fresh numbers number all your graces,
The age to come would say this poet lies,
Such heavenly touches ne'er touched earthly faces.

So should my papers (yellowed with their age)
Be scorned, like old men of less truth than tongue,
And yout true rights be termed at poet's rage,
And stretchéd metre of an antique song.

But were some child of yours alive that time,
You should live twice in it, and in my rhyme.

 

 

 

XVII

Die Nachdichtung von Karl Kraus

Wer glaubt mir einstens, wenn der Welt mein Sang
zuteil wird, ganz von deiner Huld erfüllt?
Und doch gleicht er der Gruft nur, kaum gelang
ihm halb nur die Erinnrung an dein Bild.

Könnt ich die Schönheit deiner Augen schildern,
entspräch' mein Vers der Anmut deiner Züge,
die Nachwelt, zweifelnd an den Himmelsbildern
von einem Erdensohn, nähm' sie für Lüge.

Dies mein Gedicht, verwittert durch die Zeit,
man würd' es höhnen wie Geschwätz von Greisen,
und deinen wahren Wert wär' man bereit
als Schwall von alten Liedern zu beweisen.

Doch wenn dein Bild im Sohne sich erhält,
durch ihn wie durch mein Lied bleibst du der Welt.

XVIII

Shall I compare thee to a summer's day?
Thou art more lovely and more temperate:
Rough winds do shake the darling buds of May,
And summer's lease hath all too short a date:

Sometime too hot the eye of heaven shines,
And often is his gold complexion dimmed,
And every fair from fair sometime declines,
By chance, or nature's changing course untrimmed:

But thy eternal summer shall not fade,
Nor lose possession of that fair thou ow'st,
Nor shall death brag thou wand'rest in his shade,
When in eternal lines to time thou grow'st,

So long as men can breathe or eyes can see,
So long lives this, and this gives life to thee.

 

 

 

XVIII

Soll ich denn einen Sommertag dich nennen,
dich, der an Herrlichkeit ihn überglänzt?
Dem Mai will Sturm die Blütenpracht nicht gönnen,
und Sommers Herrschaft ist so eng begrenzt.

Oft leuchten seines Blickes Feuerfarben,
doch bald auch hört das goldne Glänzen auf,
bis seine allerletzten Spuren starben
in Wechsel und natürlichem Verlauf.

Dir aber soll der Sommer niemals scheiden,
die Zeit sei fern, daß Schönheit dir verdirbt.
Des Todes gier'ger Blick weiß dich zu meiden:
mein Wort verhütet, daß dein Wesen stirbt.

Solange Ohren hören, Augen sehn,
besteht mein Lied, wirst du im Lied bestehn!

 

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