Die Zauberlehrlinge

Prolog


Jede Ähnlichkeit mit lebenden und vor allen Dingen nicht lebenden Personen ist entweder zufällig oder auch nicht. Denn am Leben sind sie alle, ob sie nun leben oder nicht.


(Dieser Satz wird während des Vorspiels in Großformat auf den geschlossenen Vorhang projektiert. )


Vorspiel des Ensembles


(Der Vorhang öffnet sich, das Dia wird ausgeblendet, die Bühne ist halbdunkel und füllt sich langsam mit Rauch. Nach ca. 2 min. taucht aus diesem Rauch der Erzähler auf. Ein roter Scheinwerfer ist auf ihn gerichtet. Er trägt ein Luzifer- Kostüm)


Der Erzähler:
Guten Abend, meine Damen und Herren! Erschrecken Sie bitte nicht, ich bin nicht der Leibhaftige, ich bin nur der Erzähler. In diesem Rauch konnte ich so schnell mein Kostüm nicht finden, darum habe ich das vor der Hand liegende angezogen. Die Farbe stimmt wenigstens, denn ich bin heute Abend sozusagen Ihr roter Faden, der Sie durch diese ebenso verwirrende wie wahre Geschichte führen wird. Das habe ich mir wenigstens vorgenommen. Garantieren kann ich Ihnen jedoch nichts!


(Er wartet)


Das Vorspiel des Ensembles geht zu Ende


Der Erzähler: (fährt fort)
Also, hören Sie zu:
Es war einmal ein Land. In diesem Lande spielt sich eine Handlung ab. Mir kommt sofort die richtige Assoziation: Das muss Holland sein. Da spielt sich nämlich immer und fortwährend eine Handlung ab. Man könnte einwenden, dass diese Qualifikation durchaus auch auf andere Länder zutrifft. Sobald Sie aber die Handlung kennen, werden Sie mir recht geben. Die Qualität einer Handlung ist eben eine eigene Sache! In diesem Holland also lebt ein Komponist. Er spielt die Hauptrolle in diesem Theater, obwohl er nicht in Erscheinung tritt. Ohne ihn wäre das, was Sie zu sehen und zu hören bekommen, einfach illusorisch.

Wie dem auch sei: in unserem Lande leben natürlich noch mehr Komponisten. Einige von ihnen werden wir kennen lernen, einige Herren und eine unvermeidliche Dame. Dabei handelt es sich um die Mitglieder des künstlerischen Rates einer Stiftung, die wir im Zeitalter des `no nonsense` „No Sense“ nennen wollen. Diese Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, die so genannte zeitgenössische Musik zu fördern. Dieses Ziel probiert sie durch Aufnahme von Partituren in ihren Katalog zu erreichen, sodass diese Partituren bei Nachfrage erhältlich sind. Ein wahrlich ideelles Ziel – in Theorie und Praxis! Nur sieht leider die Realität so aus, dass das Mittelmass regiert. Wie sich zeigen wird, entsteht so Cliquenwirtschaft. Die Clique beschützt ihre eigenen Interessen, die hauptsächlich finanzieller Natur sind, und der Staat, der unvermeidliche Partner im Spiel, finanziert die Scharlatane durch Kultursubventionen. Soweit die Sachlage. Dazu ist nur noch zu sagen, dass die Mittelmäßigkeit außerstande ist, das Essentielle zu begreifen: Das Schlimmste, das der Kunst passieren kann, ist eben das Mittelmass. Es entsteht überall da, wo das Mittel Maß aller Dinge wird. Das wird dann `Zeitgeist` genannt. Also sozusagen der Zeitgeist in einer Geistzeit!


(Der Geist tritt auf)


Der Geist:
Wie? Ist es schon Zeit für mich? Ich bin noch gar nicht fertig und schon fix und fertig!


Der Erzähler:
Ich war gerade dabei, die Geschichte in groben Zügen zu erzählen. Aber du kannst ruhig hier bleiben. Gerade wurde vom Zeitgeist gesprochen. Lass mich fortfahren: Nicht der Mindeste, nämlich Paul Hindemith, hat es so ausgedrückt: „Es ist ganz besonders dieser zuletzt erwähnte Zeitgeist, der soviel Konfusion im Gemüt des Komponisten verursacht....“


Der Geist:
Das klingt gemütlich!


Der Erzähler:
Unterbrich mich bitte nicht! Weiter Hindemith: „.....Wie kann ein Mann, der ernsthaft an diesen machtvollen Geist glaubt, unseren Methoden der Musikproduktion anhängen? Zwar betet er auf allen anderen Schaffensgebieten die Mechanisation der Arbeitsweisen an, er selber aber bedient sich der altmodischsten Produktionsverfahren. Partituren schreibt er mühselig nieder Note für Note, die Stimmen schreibt er ebenso mühselig aus; mit den Spielern macht er Probe für Probe – das alles ist hoffnungslos veraltet, und verglichen mit diesem Komponisten erscheint uns der Mann, der einen harten Holzstab in einem weichen Holzbrett quirlt statt einfach den elektrischen Schalter zu bedienen, um Feuer zu erhalten, als ein Modernist erster Ordnung. Und ein Komponist wie er will uns etwas über den Zeitgeist erzählen!“ Soweit Hindemith. Was meinst Du, Geist, was ist der Zeitgeist?


Der Geist:
Ich bin`s nicht! Der Zeitgeist ist in einer geistlosen Zeit ein Ungeist. Das größte Manko des Zeitgeistes besteht ja eben darin, dass er an die Zeit gebunden ist. Ich kann jedoch demonstrieren, dass der wahre Geist frei im Raume schwebt.....


(Der Geist beginnt, frei im Raume zu schweben. Er fährt fort:)

Was nun die Modernisten erster Ordnung betrifft......


Der Erzähler:
......so sind das die Fortschrittsgläubigen, die mit dem Fortschritt fortschreiten.....


Der Geist:
......sodass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie dahin geschritten sind. Konsequent gedacht, sind diese Modernisten diejenigen, die nicht weiter kommen. Sie haben sich an Raum und Zeitgeist gebunden und die Geister, die sie riefen, werden sie nicht mehr los. Hier feiert eine Engstirnigkeit Triumphe, die nicht zu überbieten ist!


Der Erzähler:
Geschweige denn, zu unterbieten. Wie dem auch sei, man könnte abendfüllend über dieses Thema philosophieren....


Der Geist:
Einer müsste für uns mal einen abendfüllenden Dialog schreiben. Du und ich, wir wären dafür die richtigen Schauspieler!


Der Erzähler:
Du sagst es! Doch kehren wir zurück zum Ort der Handlung! Unser Komponist hat einige seiner Partituren an die Stiftung „No Sense“ geschickt in der blinden Hoffnung, dass diese wirklich ihren ideellen Zielen nachstrebt.


Der Geist:
Der Geist: Ts, ts, ts! Ich als Geist weiss immer vorher, was passiert. Ich entschwebe. Bis nachher!


Der Erzähler:
Was jetzt passiert, werden wir sogleich erleben..... Der Rauch ist weg, ich suche mein Kostüm.


(geht ab)


Das Vorspiel des Ensembles geht endgültig zu Ende

 

 

Zur 1. Szene:

 

 

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