Der Shakesbiermann

Eine Posse der besonderen Art


 

"Versagen sie im Liedermachen,
weil ihretwegen Mieder lachen?"
"Nein, nein, nicht deshalb lachen Mieder."
"Weshalb denn?" "Nun, sie machen Lieder!"



Für ein einziges Mal wird die Reihe der Sonette Shakespeares und der Nachdichtung von Karl Kraus unterbrochen. Denn es hat sich 2004 etwas zugetragen, das erst jetzt der Besprechung wert ist, weil die erste Aufregung, die erste Erregung öffentlichen Ärgernisses sich gelegt und einer Erregung meines persönlichen Ärgernisses Platz gemacht hat. Dieses persönliche Ärgernis regt sich immer erst dann, wenn ein Faktum, seiner ersten Emotionalität entkleidet, nackt auf meinem Seziertisch liegt. Wenn der erste Sturm sich gelegt hat, entfacht die Windstille meinen Orkan.

Es ist nichts Neues, dass Wolf Biermann, der Liedermacher, sich zu einer Übersetzung von Shakespeares Sonetten hat hinreissen lassen, weil ihm das Verfassen neuer Liedertexte zunehmend Schwierigkeiten zu bereiten scheint. Was er früher mit Leichtigkeit aus dem Ärmel geschüttelt hat, das rächt sich jetzt: Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als, nach eigenem Worte, zum "Shakesbiermann" zu mutieren. Aber auch hier waren die Schwierigkeiten offenbar so groß, dass nach 40 der 154 Sonette offensichtlich der Dampf raus war. Herrn Biermanns Bewunderung für den großen Dichter in allen Ehren, dass er sich mit Shakespeare auf eine Stufe stellt, entlockt nur mir ein müdes Lächeln. Andere gingen da wesentlich engagierter zu Werk. Aus einer Besprechung von Jürgen Gutsch:

Doch hat Biermann den "gewissen Shakespeare" ja vor allem deshalb übersetzt, weil er ihn sich ebenbürtig weiß, nachdem er ihn zu diesem Behuf den "wohl größten Dichter" Europas nannte bzw. nennen ließ, - und das eben wusste die Welt noch nicht! Dem folgen zur Tarnung nun schwülstige Gebärden in seinem Buch wie etwa diese: "Welcher Sterbliche ist so vermessen und will die Hanteln eines göttlichen Riesen gegen die Sterne schlagen?" Aber es ist Wolf Biermann nicht ernst mit "Bescheidenheitsgesten" solcher Art, man merkt das schon an der missratenen Metaphorik - so wenig er ernsthaft zur literarhistorischen Debatte beitragen will. Durch einen Beitrag zu der unter Kollegstufen-Schülern derzeit heftig entbrannten Frage "War Shakespeare schwul?" hoffen aber auch er und Hannes Stein wohl nicht, sich mit Ruhm zu bedecken, so kokett sie davon reden.

Kokettes Reden in Sachen Shakespeare braucht man Wolf Biermann wahrlich nicht zu unterstellen, es reicht, ihn zu zitieren. Er weiss sehr wohl um die große Leistung von Karl Kraus, zieht es aber vor, diesen zugunsten von Shakesbiermann so zu verkleinern, dass ich beinahe in die Versuchung komme, ihn des übermäßigen Genusses von geschütteltem Bier zu verdächtigen, den armen Mann:

Die Bezeichnung ist völlig unwichtig. Die schwachen Leute nennen sich vielleicht Nachdichter, weil sie damit dunkel andeuten wollen, dass sie nicht nur "Transportarbeiter für Sprachmaterial" sind. Man kann das nennen, wie man möchte. Man kann tiefstapeln, indem man "Übersetzer" sagt, oder man kann - wenn wir an Martin Luther denken, der Gottes Wort übersetzt hat - uns "Dolmetzsch" nennen, wie Luther sich selbst bezeichnete. Das ist vollkommen egal. Am Ende soll ein Gedicht entstehen, das zum einen schön ist und zum anderen treu. Treu gegenüber dem Original, denn der Leser erwartet ja ein Gedicht von Shakespeare und nicht von Herrn Biermann. Mit anderen Worten: Es soll authentisch sein, aber gleichzeitig ein autarkes deutsches Gedicht, das ohne den Hinweis "Das ist eine Übersetzung" auskommt.

Herr Gutsch hat mir viel Recherchierwerk abgenommen und ich kann mich konzentrieren auf die interessanten Kräfteverhältnisse im Dreieck Shakespeare, Biermann und Karl Kraus. Ich gebe gerne zu, dass die Versuchung groß war, Herrn Biermanns Gedicht direkt mit der Nachdichtung von Karl Kraus zu konfrontieren. Ich habe letztendlich davon abgesehen, nicht, um den Shakesbiermann zu schonen und ihn nicht dem allgemeinen Gespött auszusetzen, sondern deshalb, weil nichts mich von meinem Plan der Veröffentlichung von Shakespeares Sonetten und der Nachdichtung von Karl Kraus abbringen kann. Denn, im Gegensatz zum Shakesbiermann, hat Shakespeare auch die Reihenfolge seiner Sonette sehr genau durchdacht und dieser folge ich tausendmal lieber, als mich durch einen Unfall wie den des Herrn Biermann in meinem Plan stören zu lassen. Die direkte Konfrontierung seiner Hexameter, die von Verlegenheitslösungen leben müssen, habe ich also nur mit dem Original, also Shakespeares Pentametern konfrontiert. Aus den Hexametern des Shakesbiermannes spricht ein Unvermögen, dass schon peinlich antut, ihn aber logischerweise zu diesem Traum verführt: Herr Biermann stellt sich auf eine Stufe mit Shakespeare und schaut aus dem Parnassus mitleidig herunter auf die irdischen Nachdichter, die "dunkel andeuten wollen, dass sie nicht nur "Transportarbeiter für Sprachmaterial" sind." Herr Biermann dahingegen will dunkel andeuten, dass er auf Shakespeares Thron sitzt. Zu welch genialen Mitteln er dabei greift, erklärt er selbst:

Das Sonett hat eine sehr starre Form - vierzehn Zeilen, deren Länge streng geregelt ist. Zudem muss man das festgelegte Reimschema einhalten. Die deutsche Sprache ist ungefähr ein Viertel länger als die englische Sprache. Wenn ich also denselben Inhalt, den Shakespeare in diese spezielle Form gepackt hat - wie in einen Koffer, in den nichts mehr hineinpasst - in deutsche Worte fassen will, dann stehe ich vor einem Problem. Wie bekommt man Shakespeares Originalmaterial in eine Sonett-Form, wenn die eigene Sprache so viel länger ist? In meinen Notaten kann man nachlesen, wie ich das gelöst habe.

Diese Lösung lese ich doch, mit Verlaub, lieber bei Herrn Gutsch nach:

Wolf Biermann erklärt uns in seinem Buch - nicht zum ersten Mal -, er habe leider bemerken müssen, dass das Englische silbenärmer sei als das Deutsche. Und zwar betrage das Verhältnis der einen Sprache zur andern 5 zu 6, wenn nicht gar 5 zu 7, woraus sich nach Adam Riese, jenem bekannten Poetologen des 16. Jahrhunderts, ergebe, dass eine deutsche Nachdichtung der Shakespeare-Sonette, die ebenso viel "Aussage" enthalten wolle wie das Original, wenigstens sechs (wenn nicht sieben) Versfüße pro Zeile benötige statt nur deren fünf. Dies wird behauptet, obwohl nicht nur im Shakespeare-Text, sondern auch in sämtlichen anderen Sonetten der Weltliteratur, nehmen wir die Original-Alexandriner-Sonette einmal aus, nur fünf Versfüße stehen. Es ist für Biermann dabei auch unerheblich, dass nicht ein einziger seiner inzwischen etwa 250 deutschen Vorgänger und Mitbewerber im Shakespeare-Sonetten-Übersetzer-Gewerbe, von Christian Heinrich Schuetze 1784 bis zu Günter Plessow 2003 und darüber hinaus, jemals diesen grundsätzlichen Schluss gezogen hat.

Einmal gesetzt den Fall, Wolf Biermann habe nur eben als philologisch-linguistisch Unschuldiger (wie jenes Kind in Andersens Märchen von "Des Kaisers neuen Kleidern") erstmals eine offenkundige Wahrheit festgestellt - all den anderen verblendeten Narren ins Angesicht hinein -, so muss er sich doch eigentlich darüber im Klaren sein, dass sein Anspruch, er wolle in seinen jambischen Hexametern nun ebenso viel Aussage wie Shakespeare in Pentametern vermitteln, augenblicklich dazu führen muss, dass ein jeder halbwegs denkfähige Leser die Aussagenfülle der Biermann-Sonette genauer zu überprüfen beginnt - und womöglich nicht nur mit dem Zentimetermaß. Hofft Wolf Biermann denn, hier zu bestehen?

Dichterische "Aussage" zu einer in Versfüßen quantifizierbaren Größe zu erklären, zeugt von einer recht eigenartigen literarischen Plattfüßigkeit. Zunächst wird mit der Maßregel 'Nimm 6 statt 5' die rhythmische Wirkung des jambischen Pentameters zerstört und gegen die ganz anders geartete Symmetrie-Struktur des französischen Dramen-Alexandriners mit seinem Zäsur-Zwang in der Mitte eingetauscht - und das von einem angeblich musikalischen Menschen, der seine Gitarre, wie er selbst sagt, immer dabeihat; dies ist schon poetisch-musikalisch einfältig.

Herr Biermann weiss nicht, dass in der Kunst Inhalt und Form einander bedingen und dass jede Änderung eines der beiden Wesensbausteine der Kunst ein Kunstwerk mutwillig zerstört. Das beweist er selbst zur Genüge in "seinen" Sonetten, in denen ich das Vorbild Shakespeares beim besten Willen nicht herauszuhören vermag. Als Beispiel möge sein Lieblingssonett genügen, das 66. Sonett, wie gewohnt in Shakespeares Originalfassung, aber diesmal kontrastiert mit Shakesbiermanns Unvermögen. Seine Versfüße verkümmern zu Plattitüden, zu Plattfüßen also, und das in einer musikalisch-poetischen Einfalt, die ihresgleichen sucht, ihn aber, das möge ihn trösten, aus der Horde der gewöhnlichen Shakespeare-Übersetzer prominent hervorhebt. So prominent, dass er selbst mir aufgefallen ist!

Die Originaltreue, die er fordert, beinhaltet auch den Sprachrhythmus als Träger der Struktur. Wie genial daneben Herr Biermann das Problem gelöst hat, kann ein jeder selber nachlesen. Unerfindlich bleibt, wieso der Shakesbiermann glauben kann, sein Machwerk käme mir als Leser wie ein Gedicht von Shakespeare vor. Es kommt mir nicht einmal wie ein Gedicht von Biermann vor. Es kommt mir überhaupt nicht wie ein Gedicht vor, sondern wie ein stümperhafter Versuch eines Pubertierenden, der in Punkto Phantasie und Qualität seinesgleichen sucht. Ich gestehe Herrn Biermann liebend gerne zu, dass dieses Material von ihm stammt und nicht von Shakespeare. Immerhin konnte er mit diesem Material eine CD füllen und blieb so im Rennen um die Gunst des Publikums. Herr Biermann hat 40 Gedichte zerstört. Er kann sich aber damit trösten, dass Shakespeare alles vorausgewusst hat, denn der Titel seiner wohl schönsten Komödie lautet: "Much Ado About Nothing" - Viel Lärm um nichts!

 

LXVI

Das Original von William Shakespeare

Tired with all these, for restful death I cry:

As to behold desert a beggar born
And needy nothing trimmed in jollity
And purest faith unhappily forsworn,

And gilded honour shamefully misplaced,
And maiden virtue rudely strumpeted,

And right perfection wrongfully disgraced,
And strength by limping sway disabled,

And art made tongue-tied by authority,
And folly, doctor-like, controlling skill,
And simple truth miscalled simplicity
And captive good attending captain ill.

Tired with all these, from these would I be gone,
Save that, to die, I leave my love alone.

 

 

 

LXVI

Die Fassung vom Shakesbiermann

Müd müd von all dem schrei ich nach dem Schlaf im Tod
Weil ich ja seh: Verdienst geht betteln hier im Staat
Seh Nichtigkeit getrimmt auf Frohsinn in der Not
Und reinster Glaube landet elend im Verrat.

Und Ehre ist ein goldnes Wort, das nichts mehr gilt
Und einer Jungfrau Tugend wird verkauft wie'n Schwein
Und weil Vollkommenheit man einen Krüppel schilt
Und weil die Kraft dahinkriecht auf dem Humpelbein

Gelehrte Narrn bestimmen, was als Weisheit gilt
Und Kunst seh ich geknebelt von der Obrigkeit
Und simple Wahrheit, die man simpel Einfalt schilt
Und Güte, die in Ketten unterm Stiefel schreit

Von all dem müde, wär ich lieber tot, ließ ich
In dieser Welt dabei mein Liebchen nicht im Stich.

 

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