Dona Marequinha

 

Die Sonne steht schon ziemlich hoch als wir endlich so wach sind, dass wir freiwillig aufstehen.
Fräulein von Maltzan sitzt bereits auf der Terrasse über ihren Büchern. Mae hat schon Feuer im Herd entfacht. Ich höre das Knistern des brennenden Holzes.
Armin und ich kriechen mehr oder weniger ausgeschlafen aus den Betten. Es ist schon wieder sehr warm, so dass ich mich entschließe, sofort meinen Badeanzug anzuziehen, der über Nacht auf der Leine getrocknet ist. Da der Tag schon schwül und warm beginnt, erscheint mir ein Badeanzug als einzig angebrachtes Kleidungsstück um über den Tag zu kommen.

Mae kocht Tee und deckt gleichzeitig den Tisch. Die mitgebrachte, selbst hergestellte Butter ist fast flüssig, da es hier keinen Kühlschrank gibt. Ich schneide einige Scheiben des Weißbrotes ab das wir von zu Hause mitgebracht haben. Da ich es nicht gewohnt bin Brot zu schneiden, sehen die Scheiben etwas merkwürdig aus: Durch das eine Ende kann man beinahe eine Zeitung lesen, auf der anderen Seite ist die Scheibe so dick, dass man die Zähne schon ordentlich auseinanderklappen muß um abzubeißen. Alle lachen, aber niemand beschwert sich.
Endlich sitzen wir gemütlich plaudernd in der warmen Morgensonne und lassen es uns schmecken. Wir haben alle einen erstaunlichen Appetit, aber ich lasse mir noch ein freies Plätzchen im Magen für die Früchte des Obstgartens... Die Butter wird nach dem Frühstück in eine Plastiktüte gefüllt und an einer schattigen Stelle in den Teich gehängt. Mae möchte sich wohl heute morgen nicht die gute Laune durch unsere langen Gesichter verderben lassen: Sie entläßt uns daher ohne uns zum Abtrocknen aufzufordern.

Armin macht sich mit seiner Schleuder auf den Weg. Ich hingegen beschließe, erst einmal die Vorarbeiterfamilie aufzusuchen.
Pai hat mir gestern aufgetragen dort einmal nach dem Rechten zu sehen und nach eventuellen Vorkommnissen der letzten Wochen zu fragen.

Unter einem mit gelben Früchten übersäten Goiavenbaum befindet sich der Brunnen der Leute. In dieser Gegend braucht man nur einen Meter tief zu graben um einen Brunnen zu haben, aus dem stets frisches Wasser sprudelt. Dieser Brunnen hier ist eher flacher und mit Backsteinen lose eingefaßt. Man hat mit Hilfe eines halbierten Bambusrohres einen Überlauf geschaffen, durch den das Wasser dem Bach entgegenfließt. Ich trinke einen Schluck und pflücke mir dazu eine Goiave. Man tut gut daran nur die Schale und das äußere Fruchtfleisch zu verzehren, denn zwischen den Kernen der Fruchtmitte halten sich beinahe immer kleine Maden auf. Man nagt gewissermaßen um sie herum...

Über einen ausgetretenen Pfad gehe ich auf das Vorarbeiterhaus zu, aus dem mir allerlei Geräusche entgegenkommen: Ein Baby brüllt lauthals, Kinder streiten sich. Frei umherlaufende Ferkel flüchten bei meinem Anblick quiekend unter das Haus, das auf einem Sockel von dicken Baumstümpfen steht. Die beiden Kinder die ich streiten hörte sitzen vor dem Haus auf dem blankgefegten Erdboden. Hinter ihnen befindet sich die Tür zur Küche und ein Fenster aus dem ich dicken Qualm hervordringen sehe. Der Schornstein hingegen bringt nur halb so viel Rauch hervor. Der etwa vierjährige Junge ist ganz nackend, das um ein Jahr ältere Mädchen hingegen hat ein buntes Höschen an. Noch haben sie mich nicht bemerkt. Beide sind teils von einer dicken Erdschicht überzogen, denn sie haben in der Lache die sich unter dem Küchenfenster gebildet hat "gebadet". Gerade fliegt wieder eine Ladung Abwaschwasser im hohen Bogen durch das Fenster auf den Hof und läßt die Kinder erschreckt aufspringen.

Sogleich stürzen sich die freilaufenden Hühner und Enten darauf und durchkämmen die Lache nach Essensresten. Ein Ferkel hält seine "Steckdosennase" vorsichtig unter dem Haus hervor und möchte wohl auch gern eine Portion in Seife eingelegter Essensreste für sich ergattern. Meine Anwesenheit hält es jedoch davor zurück.
Jetzt bemerken mich die Kinder und rennen augenblicklich stumm ins Haus.
Neben der Küchentür steht eine große Aluminiumschüssel mit einem undefinierbaren Brei. Der Inhalt erinnert mich an Kuhmist, ist dafür jedoch zu grau. Ich wende mich angewidert davon ab und klatsche einige Male in die Hände. Das Klatschen ist allgemein üblich um sich vor einem Haus bemerkbar zu machen.

Nun erscheint die Frau des Vorarbeiters, Dona Marequinha, an der offenen Küchentür und trocknet ihre Hände am Rock ab. Dieser Rock ist unbeschreiblich dreckig, an der Seite fehlt ein Reißverschluß oder Knöpfe, so dass ich bei jedem ihrer Schritte ihre Haut sehen kann. Dona Marequinha mustert mich genau so wie ich sie, denn es ist durchaus nicht üblich im Badeanzug Besuche zu machen!
Dona Marequinha hat vier Kinder. Das Jüngste dürte erst kürzlich geboren worden sein. Ich höre es jetzt wieder aus dem Dunkel eines Zimmers heraus leise weinen.
Dona Marequinha bittet mich auf einen Kaffee freundlich in die Küche. Dies ist so üblich. Lehnt man dies ab, sind die Menschen sehr beleidigt. Also füge ich mich in das Unvermeidliche und steige über die Türschwelle in die fast dunkle Küche. Sie ist von beißendem Rauch erfüllt der vom Holzherd herrührt. Reis und Bohnen kochen in blankgescheuerten Aluminiumtöpfen. Wie immer steht die Kanne mit Kaffee auf dem hinteren Teil des Herdes. Dona Marequinha nimmt eine geblümte Tasse von einem Haken und gibt sie mir, gefüllt mit heißem, pechschwarzen Kaffee in die Hand. Normalerweise trinke ich keinen Kaffee, da er bei mir Sodbrennen verursacht. Dieser hier ist ungeheuer bitter und gleichzeitig extrem süß! Langsam haben sich meine Augen an das Halbdunkel in der Küche gewöhnt. Man kann die Dachziegel von unten sehen und die Latten auf denen sie hängen. Die Menschen würden sonst bei ihrer Art zu kochen und gleichzeitig den Rauch zum Räuchern zu nutzen glatt ersticken! Es ist üblich die Schornsteine zu verstopfen und in dem Bereich um den Herd Fleisch aufzuhängen, das auf diese Weise langsam geräuchert wird.
Die Holzwände sind kohlrabenschwarz und glänzen fettig. Von den Ziegeln hängen lange, vom Ruß geschwärzte Spinngewebe, die vom Durchzug leicht hin- und hergeweht werden...

Der festgetretene Erdboden ist sauber gefegt. Als extremer Kontrast zu all dem stehen auf dem Regal aus einfachen Brettern weiße Tassen mit einem Rosenmuster auf weißem Spitzendeckchen, von Dona Marequinha selbst gehäkelt. Auf das Geschirr ist sie mächtig stolz.
Aus dem Nebenraum wird das Weinen des Babys lauter. Ich habe zwar Scheu vor Babys und würde mich niemals trauen es auf den Arm zu nehmen, und doch bitte ich sie anstandshalber, es mir zu zeigen. Ich gratuliere ihr gleichzeitig, was mich wahnsinnig peinlich berührt. Irgendwie bin ich solchen Situationen nicht gewachsen und wünsche mir sehnlichst, Mae wäre hier!

Dona Marequinha verschwindet im Nebenzimmer und kommt mit dem Baby auf dem Arm wieder. Es kommt mir absolut winzig vor!
Da es nicht aufhört zu schreien, öffnet Dona Marequinha ihre Bluse und legt das Kind an. Sofort ist es ruhig und geht schmatzend seiner Lieblingsbeschäftigung nach, und ich bin gerettet, da ich so darum herumkomme es auf den Arm nehmen zu müssen.
Beim Stillen erzählt mir Dona Marequinha, dass das Baby erst 10 Tage alt ist und leider der Nabel sehr entzündet. Sie öffnet das Tuch in dem das Kind eingehüllt ist und zeigt mir die Wunde. Es hat aber nicht nur einen entzündeten Nabel sondern auch einen Nabelbruch dazu. Eine dicke Beule drückt sich nach außen und alles ist gerötet und teils eitrig.Soetwas habe ich schonmal gesehen und erklärt bekommen. Es kommt öfter vor. Ich frage, ob sie schon einen Arzt aufgesucht habe und erfahre näheres über Geburt und die ersten Tage dieses kleinen Menschleins:

Das Baby kam mitten in der Nacht zur Welt und es erübrigte sich eine Hebamme zu holen, da man sie ohnehin nicht mehr erreicht hätte. Sie lebt 11 Km entfernt in der kleinen Ortschaft Caloré. Also kam das Kind auch ohne sie zur Welt. Leider hat man ihm den Nabel nicht sorgfältig genug abgebunden, so dass dieser Bruch schon am folgenden Tag entstand.
In der Nachbarschaft wohnt eine "Bensedora", eine Frau, die durch Scharlatanerie und "faulen Zauber" die Gutgläubigkeit der Menschen ausnutzt, um sich nebenher etwas zu verdienen.
Dona Marequinha ließ diese Bensedora zu sich kommen und erhielt folgende Anweisung, die sie leider schon mehrfach befolgt hat:
"Sie solle aus frischem Kuhmist, Asche aus dem eigenen Herd, Pfefferminz und Erde einen Brei kochen und das Kind zweimal täglich darin "baden"..."Das also war die undefinierbare Brühe die ich vor der Tür gesehen hatte, und in die mittlerweile sicher noch andere Dinge gefallen waren...
Das Zeug sieht so ekelerregend aus, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass dies gut sein soll für eine eiternde Wunde. Also versuche ich, Dona Marequinha davon zu überzeugen, dass das Ganze dadurch wohl nur noch schlimmer werden wird. Ich kann nur hoffen, dass sie mir glaubt und nehme mir vor, Mae davon zu erzählen. Auf sie wird die Frau wohl eher hören.

Ein Geräusch aus dem Nebenraum läßt mich in die Richtung schauen: Hinter der Tür erkenne ich den kleinen Jungen wieder. Er hat blonde, krause Haare und ein großes, blaues Auge mustert mich neugierig. Alle Personen in dieser Familie haben sehr starke, negroide Züge, wie breite Nasen und wulstige Lippen. Nur die Mutter und dieser kleine Junge haben blonde Kraushaare und eine durchsichtig weiße Haut. Sie sind Albinos. Der Junge ist ausgesprochen hübsch mit seinen riesigen, strahlend blauen Augen!

Während ich mich mit der Frau weiter unterhalte, würge ich ihren starken Kaffe herunter, der für meinen Gaumen grauenvoll schmeckt! Ich erfahre einige interessante Neuigkeiten, wie auch den letzten Klatsch aus der Arbeiterkolonie. Dona Marequinha erzählt, dass meine Stute Baia gefohlt hat und welche Kühe gekalbt haben und genug Milch für die ganze Kolonie da ist und, dass die Ferkel endlich kastriert werden müssen um sie mästen zu können. Einen Stall für die Schweine haben sie bereits unterhalb des Hauses angelegt. Für den kommenden Tag hat sich ein Nachbar angesagt, der ihrem Mann beim Kastrieren der Ferkel helfen wird.

Also muß ich zusehen, dass ich morgen ganz weit weg von hier bin, denn ich kann dieses schreckliche Geschrei der Tiere nicht vertragen. Die Nachricht mit dem Fohlen interessiert mich am Meisten. Pai hatte Baia als Fohlen hergebracht und sie ist bis heute nie zugeritten worden. Das Fohlen hat vermutlich den nachbarlichen Hengst zum Vater. Da ich weiß, dass Dona Marequinhas Mann abends melkt bitte ich sie ihm auszurichten, dass er uns zwei Liter Milch bringen möchte. Nun verabschiede ich mich schnell, bevor mir noch eine Tasse Kaffee eingegossen werden kann! Meine Augen brennen von dem Rauch und ich stehe geblendet wieder in der Sonne.
Um den bitteren Geschmack im Mund loszuwerden, gehe ich gleich in den Obstgarten zu den saftigen Mandarinen und reifen Bananen. Ich finde einige Bananenstauden an denen halbreife "Cachos" hängen. Cacho ist der portugiesische Ausdruck für Fruchtstand oder Traube.

Man sollte Bananen ernten, ehe sie die Vögel entdecken und anpicken. Dazu brauche ich aber einen "Facao", wie man hier die langen Macheten nennt. Ich renne nach Hause um unseren Facao zu holen und berichte Mae und Fräulein von Maltzan von den Behandlungsmethoden der Dona Marequinha an ihrem neugeborenen Baby. Sie sind entsetzt! Mae will gleich heute nachmittag zu ihr gehen, da sie ohnehin für das Baby eine Kleinigkeit vorsorglich mitgebracht hat.

 

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